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Mehrere hundert demonstrierten am Wochenende in Berlin.

© IMAGO/NurPhoto

Update

Journalist des Jüdischen Forums wurde des Platzes verwiesen: Pro-palästinensische Demonstration in Berlin verboten – nach Diskussion um Versammlungsgesetz

Eine für Freitag geplanter anti-israelischer Protest ist verboten worden. Auf früheren Demos gab es antisemitische Rufe, ein Journalist wurde ausgeschlossen.

Die Berliner Polizei hat die für Freitagnachmittag in Kreuzberg und Neukölln anmeldete antisemitische Demonstration palästinensischer Initiativen gegen Israel verboten. Das teilte die Behörde am Donnerstagabend mit. Angemeldet war die Versammlung unter dem Titel "Protestdemonstration gegen die israelische Aggression in Jerusalem".

Auch die Durchführung jeder Ersatzveranstaltung bis zum 1. Mai 2022 in Berlin sei untersagt worden, hieß es in der Mitteilung der Polizei. Die Teilnehmer:innen wollten vom Oranienplatz in Kreuzberg zum Hermannplatz in Neukölln laufen.

Die Polizei begründete die Entscheidung mit den Erfahrungen bei den jüngsten Anti-Israel-Protesten vor einer Woche. Die Verbote seien "nach Bewertung aller Umstände und Erkenntnisse sowie der Abwägung sämtlicher Interessen – insbesondere dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit" erfolgt, teilte die Polizei mit.

Die Prüfung der Versammlungsbehörde habe ergeben, basierend auf Erfahrungen auch der jüngeren Vergangenheit und weitergehenden Erkenntnissen, dass eine unmittelbare Gefahr bestehe, dass es zu "volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichung, dem Vermitteln von Gewaltbereitschaft und dadurch zu Einschüchterungen sowie Gewalttätigkeiten" komme.

Es sei ebenfalls in Betracht gezogen worden, dass die Demonstration sich zu einer Ersatzversammlung des abgesagten Aufzugs zum Al-Kuds-Tag entwickeln könne, hieß es von der Polizei.

Al-Kuds-Tag in Berlin abgesagt

Die israelfeindliche Al-Kuds-Demonstration von palästinensischen Gruppen, die am 30. April in Berlin geplant war, war Anfang April vom Veranstalter abgesagt worden. Gründe wurden nicht bekannt gegeben. Zuvor hatte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) angekündigt, die Demonstration wenn möglich verbieten zu lassen. Laut dem Berliner Versammlungsgesetz kann eine Demonstration verboten werden, wenn sie den öffentlichen Frieden stört, indem gegen eine nationale, religiöse oder ethnische Gruppe zum Hass aufgestachelt oder zu Gewalt aufgefordert wird.

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Der Al-Kuds-Tag, zu dem das Mullah-Regime in Erinnerung an die Besetzung Ost-Jerusalems durch Israel während des Sechstagekrieges 1967 aufruft, war bereits 2021 abgesagt worden.

Zum Verbot der Protestaktion am Freitag durch die Versammlungsbehörde hieß es von der Innenverwaltung am Donnerstag, der Anmelder habe bereits am vergangenen Freitag, den 22. April, eine Demo zur gleichen Thematik angezeigt und durchgeführt.

Innensenatorin Spranger teilte mit: „Wir haben letztes Wochenende bei den Demonstrationen Straftaten, antisemitische Ausrufe und Parolen übelster Art erleben müssen. Das ist völlig inakzeptabel. Wenn die Versammlungsbehörde nach einer umfassenden Gesamtschau feststellt, dass die Voraussetzungen für ein Verbot nach dem Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin vorliegen, dann begrüße und unterstütze ich das.“

Stein- und Böllerwürfe auf Polizisten

Am vergangenen Freitag und Samstag hatte es bei vergleichbaren Demonstrationen mit einigen Hundert pro-palästinensischen Teilnehmern Stein- und Böllerwürfe auf Polizisten gegeben. Die Polizei sprach auch von antisemitischen Rufen und volksverhetzenden Parolen.

Besonders aggressiv sei eine Gruppe von 40 Jugendlichen gewesen. In einer Videosequenz vom Hermannplatz riefen junge Männer Äußerungen wie „Drecksjude“. Mehrere Demonstranten wurden festgenommen.

Die Polizei hatte anschließend Kritik zurückgewiesen, dass die Demonstration am Samstag nicht beendet worden sei. Es komme darauf an, ob die antisemitischen Rufe und Parolen von Einzelnen, Gruppen oder aus einer ganzen Demonstration heraus erfolgten, sagte ein Polizeisprecher. Viele Politiker hatten die Ausbrüche von Antisemitismus verurteilt.

Berliner Versammlungsgesetz erlaubt auch Platzverweise an Journalisten

Mit dem Verbot entgeht die Polizei, sollte es vor Gericht Bestand haben, einem anderen Problem. Dieses hängt mit dem im Februar 2021 von der rot-rot-grünen Vorgängerkoalition eingeführten Versammlungsgesetz zusammen, es gilt als eines der liberalsten Versammlungsgesetze bundesweit. Bislang entschied die Polizei, ob Störer eine Demonstration verlassen müssen. Jetzt dürfen auch die Versammlungsleiter selbst andere ausschließen, wenn diese nach ihrer Ansicht erheblich stören.

Und zwar nicht nur Teilnehmer, sondern auch andere, darunter Journalisten. Ausdrücklich ist in der Gesetzesbegründung die Presse erwähnt. Am vergangenen Sonnabend schloss der Versammlungsleiter Levi Salomon vom Jüdischen Forum aus – nachdem dieser von Demonstranten angegriffen worden war. Salomon selbst wurde für die Attacken gegen sich verantwortlich gemacht. Der Versammlungsleiter sagte: „Ich habe sie des Platzes verwiesen.“ Die Polizei setzte die Entscheidung durch.

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„Man hat leider sehr deutlich gesehen, warum wir vorher auf die eklatanten Lücken im Versammlungsfreiheitsgesetz hingewiesen haben“, sagte Stephan Kelm von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Auch die Polizei selbst verweist auf die neue Gesetzesregelung, die Behörde hatte die Innenverwaltung schon im Gesetzgebungsprozess auf Probleme hingewiesen.

Auch Oliver Tölle, einst Chefjustiziar der Polizei, der als Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Polizisten ausbildet, hatte das Gesetz bereits im Anhörungsverfahren wegen unklarer Begriffe und Regelungen kritisiert. Nun sagt er: „Es ist sehr problematisch, dass ein Versammlungsleiter überhaupt darüber disponieren kann, welche Versammlungsrechte, also Minderheitenschutzrechte, ein anderer wahrnimmt, insbesondere nur weil eine Person unerwünscht ist. Das kann durch die Polizei gar nicht durchgesetzt werden.“ Die eingeführte Regelung „hänge völlig in der Luft“, sei unglücklich und eine große Gefahr.

Rot-Rot-Grün will das Gesetz zur Halbzeit der Legislatur evaluieren

FDP-Innenexperte Björn Jotzo sagte, die Beamten hätten die Lage „verfassungskonform auslegen“ müssen, wonach die Tätigkeit des Journalisten „entgegen dem Wortlaut des Gesetzes zu gewährleisten ist“. Das Gesetz sei „verfehlt und Ausfluss der falsch verstandenen Toleranz gegenüber linksextremen Veranstaltern“. Die FDP bringt nun einen Änderungsantrag in das Abgeordnetenhaus ein.

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Grüne und Linke sehen keinen Grund dafür. Es sei Aufgabe der Polizei, antisemitische Parolen und Gewalt gegen Pressevertreter zu unterbinden. Auch dürfe der Versammlungsleiter nicht nach Gutdünken die Pressefreiheit aushebeln. Stephan Kelm von der GdP ist erstaunt: „Von der Couch aus Bewertungen abzugeben, wenn Einsatzkräfte in einer hitzigen Lage ein fehlerhaftes Gesetz anwenden müssen sowie notwendige Entscheidungen treffen, um Menschen zu schützen und Eskalation zu verhindern, ist schon eine Hausnummer.“ SPD-Innenexperte Tom Schreiber sagte, Rot-Grün-Rot habe im Koalitionsvertrag vereinbart, zur Halbzeit der Legislatur das Gesetz zu überprüfen. (mit dpa)

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