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Kein Abbild der Gesellschaft: Nur fünf Prozent der bezirklichen Seniorenvertreter haben eine Migrationsgeschichte.

© Matthias Hiekel/dpa

Nur fünf Prozent mit Migrationsgeschichte: Berlin will bezirkliche Seniorenvertretungen bunter machen

In den Gremien sitzen kaum Menschen mit Migrationsgeschichte – dabei hat fast jeder vierte Wahlberechtigte eine nicht-deutsche Herkunft. Berlin will das ändern.

Von Sonja Wurtscheid

Knapp fünf Monate nach der „Superwahl“ sind Berliner:innen erneut aufgerufen, ihre Stimme abzugeben – allerdings nur jeder vierte: Für rund 900.000 Menschen über 60 Jahre gilt es, die bezirklichen Seniorenvertretungen neu zu bestimmen. Aber nur wenige Senior:innen mit Migrationsgeschichte sind in den Vertretungen aktiv. Gerade einmal fünf Prozent beträgt ihr Anteil, wie die Sozialverwaltung mitteilte. Das will Berlin ändern.

Dazu traf sich Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Dienstag mit Migrantenselbsthilfeorganisationen, Moscheegemeinden, Wohlfahrtsverbänden und aktiven migrantischen Vertreter:innen der aktuellen Seniorenvertretungen. Sie alle sollen die Mitglieder ihrer Communities auf die Wahl vom 14. bis 18. März aufmerksam machen. Die Briefwahl kann noch bis 28. Februar beantragt werden.

"Früher oder später werden wir alle Senior:innen sein", sagte Kipping bei dem Treffen "Seniorenmitbestimmung ist also die beste Altersvorsorge für jeden und jede einzelne von uns. Da wird über unsere Zukunft mitentschieden."

Ein grundlegendes Problem scheint die Kommunikation zu sein. "Wir haben bis heute nicht gewusst, dass es eine Seniorenvertretung im Bezirk gibt. Ich glaube, die Kommunikation mit der Bevölkerung ist noch sehr schlecht. Wir sind eine große Stadt", sagte Dolly Conto Obregon, promovierte Erziehungswissenschaftlerin, die das "Casa Latinoamericana" leitet. "Viele Senioren haben den Brief bekommen, ihn aber weggeschmissen, weil sie es nicht verstanden haben", berichtete Maria Aplada, die einen griechischen Seniorentreff organisiert.

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Die Beteiligung bei den vergangenen Wahlen gibt den beiden Frauen recht: 2006 und 2011 gab gerade einmal ein Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. 2016 machten immerhin knapp sechs Prozent mit.

Von den 900.000 Wahlberechtigten haben 200.000 eine Migrationsgeschichte

Dabei ist die Wahl der bezirklichen Senior:innenvertretungen die offenste Wahl, die es in Berlin gibt. Abstimmen können alle über 60 Jahre, die hier ihren Hauptwohnsitz haben. Einen deutschen Pass braucht es nicht. Von den 900.000 Wahlberechtigten haben 200.000 eine Migrationsgeschichte; 90.000 davon haben keinen deutschen Pass.

Die Seniorenvertretungen können die Politik für ältere Menschen mitgestalten. Sie setzen sich für deren gesellschaftliche Teilhabe ein, etwa für mehr altersgerechte, sportliche oder kulturelle Angebote im Bezirk. Außerdem unterstützen sie bei einem selbstbestimmten Leben im Alter und bei wichtigen aktuellen Themen wie Miete, Klima oder Gesundheit. Die bezirklichen Seniorenvertretungen sind unabhängig, parteipolitisch neutral und konfessionell nicht gebunden. Sie bestehen im Regelfall aus 17 Mitgliedern, die ihre Tätigkeit für fünf Jahre ausüben.

Um in den Seniorenvertretungen mitzumachen, braucht es Zeit und Geld

Eleni Werth-Mavridou, Griechin ohne deutschen Pass, beschrieb ihre Arbeit in der Seniorenvertretung Tempelhof-Schöneberg am Dienstag so: "Die ganzen Kümmernisse von Senioren versuche ich so gut es geht zu lösen." Seit fünf Jahren sitzt sie in dem Gremium, seit 53 Jahren lebt sie in Berlin. Einmal, sagte sie, habe sie einer Griechin im Krankenhaus geholfen. Die Frau habe das Pflegepersonal gebeten, ihr mittwochs und freitags kein Fleisch zu servieren. "Ihre Religion erlaubt das nicht", erklärte Werth-Mavridou.

Die Frau bekam trotzdem Fleisch. Die Seniorenvertreterin ging dann in die Klinik, wo man ihr gesagt habe: "Wir können keine Extrawürste machen für eure Leute." Das habe sie so sauer gemacht, dass sie sich an die Presse wandte.

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Dass Berlins Bevölkerung in den Seniorenvertretungen nicht richtig repräsentiert ist, dürfte auch daran liegen, dass es ein Ehrenamt ist. Eine Aufwandsentschädigung gibt es meist nicht. Um in den Seniorenvertretungen mitzumachen, braucht es also Zeit und Geld. Wer auch nach dem 60. Geburtstag noch auf einen Job angewiesen ist, dürfte wenig Zeit zum Mitgestalten haben.

Das sei in der Tat ein Problem, sagte Mariana Rieck Moncayo aus der Sozialverwaltung. "Wenn wir das Seniorenmitwirkungsgesetz weiterentwickeln, müssen wir darauf achten." Man werde schauen, ob man das ändern könne.

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