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Cindy Bohnwagner

© privat

Nachruf auf Cindy Bohnwagner: Endlich wieder tanzen!

Sie freute sich auf des Ende des Lockdowns. Und fuhr, wie immer, mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ein Betonmischer überrollte sie in Prenzlauer Berg beim Abbiegen.

Diese Familie hält zusammen. Im Winter düsen sie auf Skiern die schneebedeckten Berge hinunter. Cindy hinten dran, um auf die langsamere Tante achtzugeben. Im Sommer liegen sie allesamt in Prerow am Ostseestrand. Nun hat sich eben diese Familie versammelt, im Haus der Großeltern, wie hundertmal zuvor. Im Garten blüht es, die Vögel zwitschern um die Wette, die Tomaten werden langsam rot, Oma und Opa, Papa und Mama, die Schwester, die Tante. Cindy fehlt.

Nun erzählen sie. Es ist nicht einfach, weil es so plötzlich passiert ist, weil es so unfair erscheint. Sie berichten von der Cindy, die es liebte zu lachen. Sie sprechen darüber, wie einfach und unkompliziert es war mit ihr. Wie gerne sie ein Glas gekühlten Rosé trank. Wie sie auf der Arbeit im Krankenhaus immer rannte. Wie es sie traf, als sie das erste Mal miterlebte, wie Patienten starben. Wie sie Opa half, als er schwer krank war.

„Als ich sie das letzte Mal sah, freute sie sich wahnsinnig darauf, dass der Lockdown bald enden und dass das Leben endlich wieder losgehen sollte.“ Das sagt Nadine, Cindys ältere Schwester. Ein Jahr und ein paar Monate trennten sie. Nadine beschreibt, wie Cindy ihr Fahrrad abholte, das Nadines Freund repariert hatte, und wie in diesem Moment irgendjemand auf der Straße laute elektronische Musik anmachte, wie die Beats bis zu ihnen vordrangen, und wie man Cindy ansah, dass sie am liebsten mitgetanzt hätte. Endlich wieder tanzen, Nadine und Cindy auf Piste, so wie früher, in Clubs, auf Festivals, die ganze Nacht durch, das würde bald wieder möglich sein. Die beiden verabschiedeten sich, dann stieg Cindy aufs Rad und fuhr nach Hause. Morgen hatte sie Frühdienst, da musste sie beizeiten raus. Sie war ja auch immer ein paar Minuten früher da, damit die Übergabe reibungslos klappte.

Cindy und Nadine gab es immer nur im Doppelpack. Als Kinder rutschten sie nacheinander die Treppengeländer des fünfstöckigen Plattenbaus herunter. Mit den Nachbarskindern spielten sie Blinde Kuh, machten Klingelstreiche oder stromerten im Wald umher auf der Suche nach der nächsten Mutprobe. Cindy war die Frechere, Nadine die Bravere. Am Wochenende ging es mit den Eltern in die Gartenlaube, Kirschen pflücken, Marmeladenbrote essen. Wenn sich die Eltern an die Gartenarbeit machten, zogen die Schwestern ein paar Straßen weiter zu den Großeltern; da waren Cousin und Cousine, da konnten sie in den Pool springen und stundenlang Gummihopse spielen.

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Auf dem Gymnasium quälte Cindy sich. Lernen konnte sie ja ganz gut, aber vor Prüfungen hatte sie eine riesige Angst. Da war auf einmal das Gehirn leer. Keine Ahnung, warum; es war einfach so. Lieber war sie mit den Freunden unterwegs. Samstagabends trafen sie sich bei den Großeltern, ein bisschen vorglühen, die Haare stylen, schminken, und um elf fuhr Opa sie dann ins „New World“ im A10-Center in Wildau. Da gab es Schaumpartys und einen Swimmingpool, halbnackte Tänzerinnen, Elektro-Ekstase. Doch wie wild die Partys auch waren, Nadine passte auf Cindy auf und Cindy auf Nadine. Nach Hause kamen sie immer irgendwie.

Die Jungs kauften sich Mopeds, auch ihr erster Freund fuhr eins. Er war ihre große Liebe. Die Knutschereien vorher zählten nicht. In dieser einen Nacht aber, er war gerade 18 geworden, da fuhr sie nicht bei ihm mit, sondern bei einem anderen. Ein Autofahrer krachte in das Moped ihres Freundes. Was blieb, war ein großer Schmerz. Eine lange Beziehung hatte Cindy seitdem nicht mehr. Einerseits bedauerte sie es, dass da keiner war, mit dem sie ihr Leben teilen konnte. Anderseits hatte sie ihre Schwester, mit der sie zusammen in Friedrichshain wohnte, in der Nähe der Simon-Dach- Straße, wo das Nachtleben tobte.

[Die anderen Texte unserer Nachrufe-Rubrik lesen Sie hier, weitere Texte des Autors, Karl Grünberg, lesen Sie hier]

Und dann war da noch ihre Arbeit. Krankenschwester im Schichtdienst. Das war hart, aber Cindy brannte dafür, anderen zu helfen. Ihre Ausbildung machte sie an der Charité. Natürlich versemmelte sie ihre Prüfungen erstmal. Beim zweiten Mal bestand sie sie besonders gut. Ihre zweite Station war ein Seniorenheim. Da musste sie rennen, um alles zu schaffen, die Patienten, die Dokumentation, die Auszubildenden, für die sie bald zuständig war, die stellvertretende Leitung.

War sie von einer Party noch etwas mitgenommen, kam sie trotzdem zum Dienst. Hatte sie einen Skiunfall gehabt und war das Bein dick, kam sie trotzdem. Fiel jemand aus, war sie es, die als erste angerufen wurde. Manchmal erfasste sie eine kleine Wut über Kolleginnen, die das anders hielten.

2020 wurde ihr Traum wahr, sie wechselte zurück an die Charité, diesmal als Krankenschwester auf der Operationsstation. Sie war da, wenn die Patienten zur OP geschoben wurden und sie war da, wenn sie wieder aufwachten. Die Funktion der Gerätschaften lernte sie abends per Handbuch auswendig. Nach nur wenigen Monaten übernahm sie die Anleitung der Auszubildenden und neuen Mitarbeiter.

Es war an der Zeit, eine eigene kleine Wohnung zu beziehen, am Weißen See, Cindy dekorierte sie, machte sie hübsch. Und dann kam dieser Freitag im Mai. Es war früh am Morgen, sie fuhr mit dem Rad zur Arbeit. Auf der Greifswalder fuhr ein Betonmischfahrzeug neben ihr und bog rechts ab.

Da lag sie unter dem Auto, gab dem Ersthelfer noch ihr Telefon und sagte, dass er ihre Chefin anrufen solle. Sie würde es wohl nicht mehr pünktlich zum Dienst schaffen. Dann verlor sie das Bewusstsein.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

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