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In Neukölln wurden nach einer Razzia zwei Testzentren durch den Amtsarzt geschlossen.

© John MacDougall/AFP

Update

Razzia in Neukölln: Fünf Berliner Schnelltestzentren nach gezielter Kontrolle geschlossen

Nach Kritik an den laxen Kontrollen wurden am Dienstagabend in Neukölln mehrere private Teststationen geschlossen. Weitere Kontrollen sind angekündigt.

In Neukölln wurden am Dienstagabend bei einer Razzia mehr Test-Stellen geschlossen, als ursprünglich gedacht. Bei den gezielten Kontrollen unter Koordination des Neuköllner Ordnungsamtes und einem weiteren Einsatz des Gesundheitsamtes wurden fünf Corona-Teststellen im Bezirk geschlossen. Außerdem wurden bei dem Einsatz zusammen mit Polizei und Zoll in zwei Juwelierläden Verstöße gegen das Geldwäschegesetz festgestellt.

Die meist erst vor kurzem eingerichteten privaten Test-Stationen, unter anderem in einer Bar und in einem Ladengeschäft [Anm. d. Red.: Eine ursprünglich im Text genannte Fahrschule wurde nicht kontrolliert, sondern ein Laden, der im gleichen Haus liegt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.], wurde gezielt nach Hinweisen auf Verstöße gegen Hygiene- und Testvorschriften von den Behörden angefahren.

Bei einem Einsatz am Abend wurde bei zwei der drei kontrollierten Corona-Teststellen durch die Senatsverwaltung für Gesundheit festgestellt, dass die Tests falsch durchgeführt werden. Es wurden nicht zugelassene Tests genutzt und eine nicht sachgerechte Durchführung festgestellt.

Nach Tagesspiegel-Informationen ließ sich vorher ein Zivil-Beamter inkognito testen. Dabei wurde festgestellt, dass die Tests falsch durchgeführt wurden, die Tester keinen Ausweis sehen wollten. In dem anderen Laden wurden nicht zugelassene Spuck-Tests verwendet. Nach der Kontrolle wurden beide Stationen vom Neuköllner Amtsarzt Nicolai Savaskan geschlossen. Außerdem wurde die Test-Zulassung entzogen.

Neuköllns Bürgermeister: „Bund hat Betrug Tür und Tor geöffnet“

In einem dritten Zentrum wurden Hygienemängel festgestellt, die die Betreiber beseitigen mussten. Parallel dazu führte das Neuköllner Gesundheitsamt eigene Kontrollen in sechs weiteren Test-Zentren im Bezirk durch. Dabei wurden ebenfalls so schwerwiegende Verstöße gegen Corona- und Test-Vorschriften festgestellt, dass drei der Test-Einrichtungen geschlossen werden mussten.

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Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärte am Mittwoch: „Ich bin überzeugt, dass der Großteil der Testzentren ordentlich arbeitet. Trotzdem hat die Aktion gestern gezeigt, dass es schwarze Schafe gibt.“ Man werde den Kontrolldruck deshalb auch in Zukunft aufrechterhalten. „Außerdem werden wir klare Kante gegen Betrug durch manche Testzentren zeigen“, sagte Hikel. Die Bundesregierung habe „dem Betrug Tür und Tor geöffnet“ und müsse die Betrügereien nun auch stoppen.

„Auch wenn wir als Bezirk keine Daten zu Abrechnungen haben: Wir werden jeden Verdacht und jeden Hinweis weitermelden, der uns bei unseren Kontrollen auffällt“, sagte der SPD-Politiker.

Polizei ermittelt in neun Fällen wegen Betrugsverdachts

Inzwischen sind auch beim Landeskriminalamt sieben Verfahren im Zusammenhang mit mutmaßlichem Betrug in Corona-Testzentren eingeleitet worden. Das sagte Kriminaldirektor Frank Worm am Mittwoch der „Welt“. Am Tag zuvor hatte die Polizei auf Tagesspiegel-Anfrage noch mitgeteilt, dass bislang keine Verfahren laufen würden.

Worm erklärte, dass Landeskriminalamt habe nun eine Informationsstelle eingerichtet. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft gebe es ab sofort ebenfalls einen ständigen Ansprechpartner. Worm erklärte, dass momentan aber nur 17 Polizisten in Berlin für Ermittlungen gegen Test-Zentren zuständig seien – dem gegenüber stehen mehr als 1500 Test-Stellen in Berlin.

Das Geschäft mit den Tests gilt als äußerst lukrativ, weil die Betreiber pro Test 18 Euro von der Kassenärztlichen Vereinigung ausgezahlt bekommen. Brancheninsider sprechen davon, dass so zwischen 6 bis 10 Euro Gewinn pro Test möglich sind.

Seit Tagen gibt es Kritik an der fehlenden Kontrolle der Teststellen durch Behörden. Journalisten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hatten recherchiert, dass Testbetreiber keine Nachweise bei der Abrechnung von Corona-Tests vorweisen müssen. Sie müssen lediglich in eine Online-Maske der Kassenärztlichen Vereinigung eintragen, wie viele Schnelltests sie durchgeführt haben.

Insbesondere in Berlin mehrte sich auch die Kritik an den zu laxen Zulassungskriterien der Gesundheitsverwaltung für neue Test-Stellen. Mehr als 1400 gibt es inzwischen in Berlin, Kontrollen gab es bislang kaum, auch keine Überprüfung der Angaben bei der Zertifizierung. Diese erfolgten lediglich „anlassbezogen“.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) drängt deshalb auf strengere Regeln bei der Abrechnung der Corona-Bürgertests. Dem Tagesspiegel sagte Kalayci am Dienstag: „Viele Teststellen leisten gute Arbeit. Dafür danke ich ihnen. Und sie werden sehr gebraucht.“ Aber wenn es notwendig sei, müsse den Test-to-go-Stationen die Zertifizierung wieder entzogen werden, sagte die SPD-Politikerin. „Und ich dringe darauf, dass auch der Bund strenger verfährt“, ergänzte sie.

Allein in Berlin könnten bis zu 86 Millionen Euro auf den Steuerzahler zukommen

Insbesondere soll es darum gehen, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Lücken in der Bundestestverordnung schließt. Darauf hatte Kalayci laut Teilnehmern schon in der Senatssitzung am Dienstagmittag hingewiesen: Um die Testzentren besser kontrollieren zu können, müsse erst einmal die Bundesebene handeln. Spahn hatte nach einem Krisentreffen am Montag erklärt, das nun angehen zu wollen.

Bezahlt werden die Tests seit März vom Bundesgesundheitsministerium aus Steuermitteln. Knapp drei Monate nach Einführung der Bürgertests könnten auf den Steuerzahler allein durch die in Berlin durchgeführten Tests Kosten in Höhe von bis zu 86 Millionen Euro zukommen.

[Mehr zum Thema: Zu hohe Einkaufspreise angegeben – Testcenter-Betrug vermutlich noch größer als gedacht (T+)]

Der Berliner Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), CDU-Politiker Mario Czaja, hat sich deshalb am Dienstag dafür ausgesprochen, dass die Behörden schon bei der Zulassung von Corona-Testzentren genauere Nachweise verlangen sollten. „Eine Dokumentation sollte man bei allen Betreibern unmittelbar einfordern und die muss über einen langen Zeitraum nachvollziehbar sein“, forderte Czaja im rbb-Inforadio.

Künftig sollten Gesundheitsverwaltung und Kassenärztliche Vereinigung demnach bereits im Zulassungsverfahren für die Teststellen auf einen solchen Nachweis bestehen. „Man hätte zumindest den Anreiz, zu betrügen, weit nach unten fahren können“, sagte Czaja zu Diskussionen über mangelhafte Kontrollen von Corona-Schnelltestzentren.

Niemand will für die Kontrolle verantwortlich sein

Bislang wehrten sich alle politischen Ebenen dagegen, für die Überprüfung der Abrechnungen verantwortlich zu sein. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht Bund und Länder in der Pflicht. Gesundheitsämter seien dafür weder ausgestattet noch personell in der Lage, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Gerd Landsberg der „Rheinischen Post“. Neukölln geht nun einen anderen Weg.

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In den kommenden Tagen sollen in Berlin Gespräche zwischen Gesundheitsverwaltung und Gesundheitsämtern stattfinden, wie eine bessere Kontrolle zu gewährleisten wäre. Insbesondere die Abrechnung von sehr billig eingekauften Tests für bis zu sechs Euro stößt Bezirksvertretern auf. Sie müssen sich nämlich selbst um Schnelltests kümmern.

Amtsarzt Nicolai Savaskan aus Neukölln ärgerte sich über die aus seiner Sicht falsche Prioritätensetzung: „Was sehr ärgerlich ist: dass die Gesundheitsverwaltung die Gesundheitsämter teils nicht mehr mit Schnelltests beliefert, aber die Testzentren hohe Mengen geliefert oder ausbezahlt bekommen.“

In Gesundheitskreisen gibt es auch Ärger über die Kassenärztliche Vereinigung: Sie sieht sich nicht für Kontrollen zuständig, bekommt aber eine Verwaltungspauschale von 3,5 Prozent für die Abrechnung. Dafür könne man auch eine Leistung erwarten, hieß es.

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