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Wer gehört wem und wohin muss er? Am BER stapeln sich die Gepäckstücke.

© AFP

„Ich hab keinen Koffer in Berlin“: Hunderte Passagiere warten am BER auf ihr Gepäck – vergeblich

Zum Ferienende müssen Fluggäste in Berlin auf ihr nachgeliefertes Gepäck warten. Die Probleme liegen oft an den Umsteige-Flughäfen.

Frank Ulrich Montgomery hat gerade „das Gefühl, dass man in einer Gummizelle sitzt und ständig gegen Wände rennt und abprallt“. Dieses Gefühl verdankt der Radiologe drei verschwundenen Koffern und der Firma, die sich am BER um sein Gepäck kümmert. Besser gesagt: kümmern sollte.

Denn Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes, wartet seit Montag auf seine drei Koffer, seit ihn eine Lufthansa-Maschine aus New York zum Flughafen nach Schönefeld gebracht hatte.

Am Freitag wartete er noch immer. Die Koffer kamen nicht. Und Montgomery ist nur ein Fall unter vielen Hundert.

Vermutlich eine vierstellige Zahl von Passagieren wartet auf das jeweilige Gepäck, das nicht auf dem Laufband gelandet ist, sondern irgendwo liegt oder unterwegs ist. Und es kann lange dauern, bis ein Kurier es endlich liefert.

195.000 Passagiere werden am Wochenende am BER erwartet

Nun, am Ende der Ferienzeit in Berlin, dürfte die Zahl der Betroffenen nochmal kurzzeitig nach oben schnellen. 195.000 Fluggäste werden zwischen Freitag und Sonntag am BER erwartet.

Für Freitag rechnete man mit 72.000 Passagieren, für Sonntag geht die Flughafengesellschaft von rund 67.000 aus.

Im Schnitt würden seit Juni rund 70.000 Passagiere pro Wochenende registriert, sagt Sabine Deckwerth, Pressesprecherin der Flughafengesellschaft. Dementsprechend viele Gepäckstücke landen auch seit Wochen nicht beim Empfänger.

Das Problem trifft alle Flughäfen, in Deutschland und international, doch besonders betroffen sind Umsteige-Flughäfen wie Frankfurt, München, London oder auch Amsterdam. Oft genug wird schon dort das Gepäck nicht eingeladen, am Zielflughafen kann es dann auch nicht ausgeladen werden.

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Flughafensprecherin Deckwerth kann nicht genau sagen, wie viele Gepäckstücke derzeit täglich verspätet eintreffen. „Es gibt dazu keine verlässlichen Zahlen, da die Zahl der täglich eintreffenden Gepäckstücke und die Zahl der täglich zugestellten Gepäckstücke stark schwankt, sie ist bei allen Dienstleistern unterschiedlich. Dauerhaft wird kein Gepäck am Flughafen Berlin Brandenburg gelagert“, sagte sie.

Verantwortlich für die Gepäckbe- und entladung am BER sind die drei Firmen Aeroground, Wisag und Swissport. Die Airlines haben diese Unternehmen beauftragt, die Flughafengesellschaft BER hat mit der Gepäckabfertigung erst einmal nichts zu tun.

Die Probleme mit dem Gepäck bestehen seit Langem. Sie sind auch Folge eines Personalabbaus in der Coronazeit. Und jetzt haben einige Unternehmen Mühe, neues Personal zu finden.

Denn man kann nicht einfach ein paar Aushilfskräfte anstellen, die dann Koffer wuchten. Wer in sicherheitssensiblen Bereichen eines Flughafens arbeitet, muss akribisch überprüft werden. Und das dauert. Dazu kommt ein hoher Krankenstand, etwa aufgrund von Corona oder aber der körperlich anstrengenden Arbeit mit Koffern und Taschen.

Wisag sieht bei sich keine Personalprobleme

Aus Sicht von Jana Eggert, Sprecherin der Wisag AG, gibt es in ihrem Unternehmen kein Problem mit dem Personal. „Die Wisag ist im Bereich Lost & Found am BER personell gut aufgestellt, wir suchen aktuell keine MitarbeiterInnen für diese Abteilung.“

Aktuell liege das Aufkommen „von Gepäckstücken unserer Kunden-Airlines, die wir pro Tag am BER bearbeiten, bei durchschnittlich 50 Gepäckstücken am Tag“, sagt sie. Dies entspreche dem Durchschnittswert des vergangenen halben Jahres.

Doch auch Eggert räumt ein, was offenkundig ist: „Insgesamt kam es in den letzten Monaten wegen Verspätungen und Verzögerungen im gesamten Luftverkehr zu einem erhöhten Aufkommen an Lost & Found-Gepäck, das von den Dienstleistern im Auftrag der Airlines bearbeitet werden musste. Deshalb hat beispielsweise der Zoll in Berlin ein vereinfachtes Verfahren für Lost & Found-Gepäck eingeführt, um die erforderlichen Prozesse unter Einhaltung aller erforderlicher Sicherheitskriterien zu beschleunigen.“

Gleichwohl sei der Rückstau von Gepäckstücken „nicht gänzlich zu vermeiden, wenn beispielsweise eine Maschine ohne Gepäck und nur mit Passagieren starten muss und die Gepäckstücke dann händisch den Besitzern zugeführt werden müssen.“

Das Abarbeiten dieser vereinzelt erhöhten Gepäckmengen verlaufe bei der Wisag bisher in regulären Zeitfenstern. Die Gepäckstücke würden erfahrungsgemäß spätestens zwei beziehungsweise drei Tage nach Verlustmeldung übergeben.

Aeroground sieht das BER-Problem bei den Vor-Flughäfen

Die Aeroground ist eine Tochter der Flughafen GmbH München. Flughafensprecher Edgar Endert räumt ein, dass „aufgrund einer vielfachen Menge an nachgelieferten Gepäckstücken sich die Bearbeitung verzögert, und es entstehen Wartezeiten bei der Bearbeitung.“ Das erhöhte Aufkommen sei auf Probleme an den Vor-Flughäfen zurückzuführen und nicht am BER entstanden.

Die Verzögerungen in der Bearbeitung betrügen einige Tage und könnten in Einzelfällen aufgrund der Umstände, wie etwa der Zollfreigabe, auch länger sein. „Grundsätzlich“, sagt Engert, „stellen Umsteigeverbindungen an den Hubs unserer Kunden das größte Problem dar.“ Die Zahl der verspätet eingetroffenen Gepäckstücke habe sich gegenüber 2021 um 700 bis 900 Prozent erhöht.

Die Zahl der Mitarbeiter „im Bereich Gepäckermittlung haben wir gegenüber 2021 um 25 Prozent erhöht“, sagt Engert. „Zur weiteren kurzfristigen Unterstützung befinden sich sechs weitere Mitarbeiter in der Schulung. Wir arbeiten daran, die Situation bis Ende August deutlich zu entspannen, sind hier jedoch auch von der Entwicklung an den Vor-Flughäfen abhängig.“

Flughafengesellschaft sieht sich nicht in der Verantwortung

Die Flughafengesellschaft Berlin, sagt Sprecherin Sabine Deckwerth, habe so gut wie keine Möglichkeit, die Prozesse zu beschleunigen und das Koffer-Chaos zu verringern. „Die Abfertigung der Gepäckstücke obliegt der Airline beziehungsweise ihren Dienstleistern.“

Als Anbieter der Infrastruktur stelle die GmbH „unseren Partner die benötigten Flächen zur Verfügung, damit das Gepäck einerseits geschützt ist und andererseits so effizient wie möglich bearbeitet werden kann. In Spitzenzeiten haben wir in diesem Sommer in enger Abstimmung mit den zuständigen Unternehmen bei der Betreuung der Fluggäste in der Gepäckermittlung mit Personal der Flughafengesellschaft unterstützt.“ Als übergreifende Stelle stehe die Gesellschaft „ständig mit allen Partnern im Austausch und koordinieren die Prozesse am Flughafen“.

Passagieren wie Montgomery, die dringend ihr Gepäck benötigen, sind die Feinheiten der Verantwortlichkeiten herzlich egal. Sie wollen ihr Gepäck wiederhaben. Montgomery ist auch deshalb so genervt, weil er innerhalb von sechs Wochen seinem Gepäck jetzt zum dritten Mal nachlaufen muss: in London, in Washington und nun in Berlin.

In London betrug seine Wartezeit zweieinhalb Wochen, in Washington hatte er wenigstens nach einer Woche Ruhe. „Was mich am meisten ärgert“, sagt Montgomery, „ist die Nonchalance, mit der mit Fluggästen umgegangen wird. Ein Koffer kann verloren gehen, keine Frage, aber man hat ihn in der Regel am nächsten Tag. Man wartet aber nicht Tage und erhält keine Informationen.“

Am Mittwoch, das hatte Aeroground in einer E-Mail mitgeteilt, sollten zumindest zwei der drei vermissten Gepäckstücke geliefert werden. Passiert ist nichts. „Seither, sagt Montgomery, „habe ich gar nichts mehr gehört.“ Er habe die Servicenummer von Aeroground angerufen „und niemanden erreicht“. Er habe Mails geschrieben, „keine Reaktion“. Am Freitag ist Montgomery mit seiner Frau in den Urlaub gefahren. Diesmal wird es mit dem Gepäck keine Probleme geben. Zielort ist die Ostsee.

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