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Der Bettenturm der Charité in Berlin-Mitte.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Drei Tage Arbeitskampf in Berlins Landeskliniken: Pflege-Streik bei Charité und Vivantes ab Montag - OPs werden wohl verschoben

Am Dienstag sollen in Charité und Vivantes-Krankenhäusern erste Stationen schließen. Verdis 100-Tage-Ultimatum läuft ab - die Gewerkschaft ruft zum Streik.

Ab kommenden Montag wollen Pflegekräfte an der Charité und den ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken drei Tage streiken. Werde der Ausstand nicht durch neue Angebote der Klinikvorstände abgewendet, legten Dienstag zwölf Teams der Vivantes-Krankenhäuser und sieben Teams der Universitätsklinik die Arbeit nieder. Das teilte Verdi mit.

Der Gewerkschaft zufolge wäre somit in fast allen der neun Vivantes-Kliniken sowie an den drei Charité-Campussen je mindestens eine Station betroffen; Ausstand von Steglitz-Zehlendorf bis Marzahn-Hellersdorf, von Spandau bis Neukölln.

Ärzte schätzen, dass Dutzende Operationen verschoben werden müssten. Die Klinikvorstände kündigten an, Patienten rechtzeitig zu informieren. Verdi zufolge sind Normalstationen der Gastroenterologie, Chirurgie und Geriatrie betroffen, womöglich müssten auch einzelne Intensivbetten für Neuaufnahmen gesperrt werden.

Die Gewerkschaft fordert von den Klinikkonzernen einen „Entlastungstarifvertrag“, der etwa zehn Prozent mehr Pflegepersonal erforderlich macht, zudem höhere Löhne in den Vivantes-Tochterfirmen.

Bis zum Wochenende müssten sich Verdi und Charité- sowie Vivantes-Vorstand zudem auf eine der üblichen Notdienstvereinbarungen einigen. Diese regeln, welche Patienten trotz Streiks behandelt werden. Sollte es, wie zuletzt bei kleineren Warnstreiks, keine Notdienstregelung geben, werde Verdi einen an den Wochenenddiensten orientierten Mindeststandard aufrechterhalten.

[Lesen Sie mehr auf Tagesspiegel Plus: Pflegekräfte denken an Streik - die Corona-Helden begehren auf]

Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) sagte, dass die Krankenhausbeschäftigten streiken, sei legitim: „Deshalb muss es eine Notdienstvereinbarung geben, die den Krankenhausbeschäftigten die Möglichkeit gibt, ihr Streikrecht wahrzunehmen.“ In Charité und Vivantes wunderten sich darüber einige insofern, als dass dem Land, letztlich dem rot-rot-grünen Senat gehören: Die Landesregierung könne, wenn auch rechtlich nicht so einfach, ihre Kliniken besser ausstatten. In den beiden Konzernen stehen zusammen fast 9000 der 20.000 Berliner Krankenhausbetten.

Verdi: Das 100-Tage-Ultimatum läuft ab

Im Mai hatte Verdi ein 100-Tage-Ultimatum gesetzt: Wenn sich Gewerkschaft und Landeskliniken bis 20. August nicht auf einen „Entlastungstarifvertrag“ einigen sollten, wollen die Pflegekräfte streiken. Nun teilte Verdi mit: „Das Ultimatum endet am Freitag. Sollten sich Senat und Arbeitgeber bis dahin nicht entscheidend bewegt haben, droht ein Streik.“

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Der Entlastungstarifvertag macht, wie erwähnt, schätzungsweise zehn Prozent mehr Personal erforderlich – oder aber entsprechend weniger Patienten. Bleiben die Fallzahlen wie sie derzeit sind, bräuchten die Landeskliniken mindestens 1000 zusätzliche Pflegekräfte. Der von Verdi avisierte Tarif soll einen fixen, einklagbaren Belastungsausgleich enthalten.

[Lesen Sie mehr auf Tagesspiegel Plus: Ein Jahr auf der Corona-Station – Wie die dritte Welle Intensivpflegekräfte ans Limit bringt]

Der Bettenturm der Charité in Berlin-Mitte.
Der Bettenturm der Charité in Berlin-Mitte.

© picture alliance/dpa

Der Vivantes-Vorstand um Johannes Danckert teilt mit, wäre der von der Gewerkschaft gewollte Personalschlüssel in Kraft, müssten von fast 5000 Vivantes-Betten bis zu 750 gesperrt werden. Werden aber weniger Patienten versorgt, zahlen die zuständigen Krankenkassen weniger Geld, weshalb bis zu 1300 der fast 18.000 Stellen der Klinikkette gestrichen werden müssten: „In der Summe würde Vivantes dadurch dauerhaft zu einem Subventionsbetrieb, dessen enorme Defizite vom Land Berlin zu tragen wären.“

Vivantes: Eine Pflegekraft betreut 5,4 belegte Betten - nicht mehr 6,6 Betten

Dabei wäre Vivantes bereit, die geforderte Zahl neuen Personals anzustellen: Nach eigenen Berechnungen wäre der Verdi-Wunschtarif erfüllt, wenn Vivantes 650 examinierte Pflegekräfte dazugewönne. Um diese Stellen zu besetzen, gebe es auf dem Arbeitsmarkt aber zu wenig Fachkräfte.

Man bemühe sich seit Jahren um Personal, teilte Vivantes mit: Noch 2013 arbeiteten im Unternehmen 15.000 Beschäftigte, nun sind es fast 18.000. Trotz Fachkräftemangels und steigender Zahl an Patienten im wachsenden Berlin habe sich sogar die Lage der Pflegekräfte entspannt: Vor zehn Jahren betreute eine Pflegekraft pro Schicht im Schnitt 6,6 belegte Betten, 2019 noch 5,4.

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Der Fachkräftemangel in der Pflege sei ein Mythos, sagen dagegen die Verdi-Verhandler, als bundesweit Zehntausende examinierte Pflegekräfte in den vergangenen Jahren den Job verlassen hätten – gerade weil die Personalstärke auf den Stationen so gering war. Und: Die Entlastungstarife an den Universitätskliniken Mainz, Jena und Lübeck-Kiel hätten eben nicht zu weniger Patienten, geringeren Kasseneinnahmen und Stellenabbau geführt.

Neben der Personalnot ist eine der Verhandlungsfragen das Reinigungs-, Transport- und Küchenpersonal in den Vivantes-Tochterfirmen. Während in den Vivantes-Stammhäusern nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) bezahlt wird, erhalten Angestellte in den Tochterfirmen deutlich weniger Lohn. Auch sie wollen ab Montag streiken.

Die Landeskliniken stehen unter großem ökonomischen und politischem Druck. Mit Charité und Vivantes will Berlin als Medizinmetropole reüssieren, dann kam die Coronakrise, in der das einträgliche Geschäft mit planbaren Operationen immer wieder fast eingestellt werden musste.

Die Charité hat das erste Pandemiejahr dank Corona-Zuschüssen der Bundesregierung und des Senats milder abgeschlossen als branchenintern erwartet. Europas größte Universitätsklinik machte bei circa zwei Milliarden Euro Umsatz 2020 ein Minus von 1,3 Millionen Euro. Vivantes ist Deutschlands größte kommunale Klinikkette und verzeichnete 2020 bei 1,5 Milliarden Euro Umsatz 30,5 Millionen Euro Verlust.

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