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Sozialsenatorin Elke Breitenbach will den Anteil von Migrantinnen und Migranten in der Verwaltung erhöhen.

© Stefan Weger

Berliner Senatorin verteidigt Migrantenquote: „Rassistisches Denken ist tief in unserer Gesellschaft verankert“

Integrationssenatorin Elke Breitenbach verteidigt die Migrantenquote gegen juristische Bedenken. Und erklärt, warum das Wort „Integration“ ausgrenzend ist.

Nach einem Tagesspiegel-Bericht über die in Berlin geplante Migrantenquote für den öffentlichen Dienst erhielt die zuständige Integrationssenatorin Hassmails und Drohnachrichten. Im Interview widerspricht Elke Breitenbach (Linke) verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Zielvorgabe. Sie sei keine Bevorzugung von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern ein Nachteilsausgleich.

Berlin brauche unbedingt Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den Behörden. Dazu sei nicht die Integration von Migranten in die Mehrheitsgesellschaft notwendig, sondern ihre Partizipation. Das Wort „Integration“ bezeichnend Breitenbach als ausgrenzend. Im Gespräch erklärt sie, warum.

Frau Breitenbach, Sie planen eine Migrantenquote von 35 Prozent in der Berliner Verwaltung. Die SPD hat das als „Maximalforderung“ zurückgewiesen, Juristen sprechen von einem Verstoß gegen das Grundgesetz. Wie radikal ist Ihre Idee?
Diese Idee ist überhaupt nicht radikal. Wir haben diese Zielvorgabe seit zehn Jahren im Partizipations- und Integrationsgesetz formuliert. Da steht dieser Satz von zeitloser Schönheit: „Der Senat strebt die Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung an.“ Aber seitdem ist fast nichts passiert. Ich kenne kaum ein anderes Gesetz, das mit so wenig Engagement umgesetzt wurde wie dieses. Deshalb brauchen wir dringend eine Reform.

Die Reaktionen auf die Idee einer Quote waren heftig. Sie erhielten Hassmails, im Internet waren Hunderte rassistische Kommentare zu lesen. Überrascht?
Leider nein. Als wir das Gesetz vor zehn Jahren verabschiedet haben, war das ähnlich. Mich hat eher erschüttert, dass wir 2021 noch immer mit den gleichen Argumentationsmustern konfrontiert sind. Es gibt sofort diesen Reflex, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte per se ihre Eignung abgesprochen wird, in den öffentlichen Dienst zu gehen – und zwar bis tief hinein in Funktionärskreise von Parteien und Gewerkschaften. Es ist ein zutiefst rassistisches Denken in dieser Gesellschaft verankert.

Ist das Verlangen nach einer Quote ein Eingeständnis des Scheiterns der Integrationsgesetzgebung, vielleicht auch: ein Eingeständnis gesellschaftlichen Scheiterns?
Eine Quote ist kein Eingeständnis von Scheitern. Sehen Sie, ich bin ja eine Frau, und ich finde die Ergebnisse der Frauenquote sehr gut. Und zwar nicht nur für alle Frauen, die nun einen Job bekommen haben, den sie vorher nicht gekriegt hätten.

Diese Frauen haben ja auch die Verwaltung selbst verändert und sind zu Vorbildern für Jüngere geworden. Eine Quote greift gesellschaftliche Realitäten auf. Es werden alte Strukturen aufgebrochen, die einzelne Gruppen diskriminieren. Es ist nur ein Nachteilsausgleich, keine Bevorteilung.
Menschen mit Migrationshintergrund sind in Berlin an vielen Stellen erfolgreich: als Unternehmerin, als Forscher, als Politikerin. Warum müssen sie in die Verwaltung?
Wir brauchen unbedingt Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den Behörden. Wir brauchen sie als Fachkräfte und als Vorbilder. Wir brauchen ihre Mehrsprachigkeit und ihre kulturellen Erfahrungen. Ich gebe dazu ein konkretes Beispiel: Die Gesundheitsämter haben plötzlich mitten in der Pandemie gemerkt, dass sie zu vielen Berlinerinnen und Berlinern überhaupt keinen Kontakt aufnehmen können. Die Mitarbeitenden sind nicht in der Lage, mit ihnen zu reden, sie zu beraten. Das ist eine Erkenntnis, die gerade in dieser Ausnahmesituation bitter ist. Aber diese Sprachlosigkeit gibt es schon lange.

Wollten Menschen mit Migrationshintergrund bislang nicht in die Berliner Verwaltung oder wollte der öffentliche Dienst sie nicht?
Wir haben festgestellt, dass der öffentliche Dienst für viele Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte gar keine Option ist. Sie können sich gar nicht vorstellen, dort zu arbeiten. Aber viele Bewerberinnen und Bewerber scheitern auch an den Behörden. Es gibt doch genug Untersuchungen dazu: Zwei Menschen mit den gleichen Abschlüssen und den gleichen Lebensläufen bewerben sich auf einen Job; zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird aber derjenige mit dem deutschen Namen. Wir sehen aber auch: Wenn wir Zeichen setzen, wie mit unserer sehr erfolgreichen Kampagne „Berlin braucht Dich!“, machen die Menschen mit.

Zeigt das nicht, dass es auch ohne Quote geht? Beispiel Polizei: Dort arbeiten schon 38 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Das ist ja eine Erfolgsgeschichte.
Aber was hat denn die Polizei gemacht? Das ging doch alles nicht von allein! Bei der Polizei wurden ganz viele Maßnahmen ergriffen, weil diese Behörde eine riesige Personalnot hatte. Deshalb wurde dort vor Jahren schon die Ansprache verändert, um Migrantinnen und Migranten zu gewinnen.

Elke Breitenbach (Die Linke), Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales bei einem Pressegespräch.
Elke Breitenbach (Die Linke), Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales bei einem Pressegespräch.

© Britta Pedersen/dpa

Es gibt bis heute – finanziert von der Integrationsverwaltung - Vorbereitungskurse für junge Migrantinnen und Migranten, die zur Polizei wollen oder zur Rechtspflege. Die Polizei hat auch die Einstellungstests verändert und gezeigt: Wenn man sich tatsächlich verbindlich darum kümmert, hat man Erfolge und gewinnt die Menschen, die man haben möchte.

Aber dafür brauchte es keine Quote.
Die Maßnahmen, die ich jetzt vorschlage, beginnen schon bei den Ausschreibungen: sie schreiben verbindliche Planungen und Dokumentationen vor. Wir wollen nicht das Grundgesetz außer Kraft setzen, wir haben auch ein Landesgleichstellungsgesetz. Wenn also jemand mit Migrationshintergrund und eine Frau gegeneinander antreten, wird diese Stelle natürlich eine Frau kriegen – wegen des Gleichstellungsgesetzes. Nur im allerletzten Schritt, wenn am Ende zwei Kandidaten übrigbleiben, gleichen wir mit der Quotenregel den strukturellen Nachteil für Menschen mit Migrationsgeschichte aus – solange sie in einer Behörde unterrepräsentiert sind.

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Selbst wenn man Menschen mit Migrationshintergrund nur im allerletzten Schritt vorzieht, ist das nicht trotzdem eine Bevorteilung, also ein Widerspruch zum Grundgesetz?
Ist es nicht auch ein Widerspruch, wenn ich in einem solchen Fall sage, ich bevorzuge eine Frau, die ja ähnlichen strukturellen Diskriminierungen unterliegt? Gleichzeitig dürfen wir diese Benachteiligung bei Menschen mit Migrationshintergrund nicht einmal anpacken...
...aber die Gleichstellung der Frau ist im Grundgesetz festgeschrieben…
…im Grundgesetz ist auch festgeschrieben, dass jeder Mensch gleich ist. Da gibt es keinen Unterschied. Wir erleben, dass es hier eine strukturelle Diskriminierung einer Gruppe von Menschen gibt – und dagegen muss die Politik vorgehen. Wir haben natürlich Rechtsgutachten dazu erstellen lassen: Diese Regelung ist möglich – und wir achten dabei alle bestehenden Gesetze.

Könnte man die von Ihnen attestierte Diskriminierung nicht auch durch anonyme Bewerbungsverfahren lösen?
Natürlich funktioniert das, was die Einladungspraxis von Bewerbern betrifft. Aber dann kommt die Stunde des Vorstellungsgesprächs und in dieser Situation unterliegen die Menschen wieder denselben Diskriminierungsmechanismen wie immer.
Wenn eine Abteilungsleiterin Ali, Sergio oder François vor sich sitzen sieht, nimmt sie stattdessen lieber einen Michael Müller?
Ja, wobei man sagen muss, dass das alles viel diffiziler ist. Menschen aus Frankreich oder Japan kriegen zum Beispiel sehr schnell eine Arbeit und eine Wohnung, einem Ahmed werden aber ganz andere Stereotype zugeschrieben – der hat es viel schwerer. Das ist nicht nur im öffentlichen Dienst so.

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Der Berliner Migrationsrat fordert jetzt sogar, die Quote noch weiter zu fassen. Sie soll nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund gelten, sondern für alle von Rassismus betroffenen Menschen - also auch für den Schwarzen Berliner, dessen Familie seit Generationen in Deutschland lebt. Wäre das nicht in Ihrem Sinne konsequent?  
Das wäre konsequent, aber dafür gibt es keine rechtliche Grundlage. Die Bewertung, ob Menschen von Rassismus betroffen sind, beruht auf einer Selbsteinschätzung, die ich nicht in Frage stelle.  Auf Grundlage dieser Einschätzung jemanden bevorzugt einzustellen, ist rechtlich aber nicht möglich.

Das Wort „Integration“ kommt im ganzen Gesetz nicht mehr vor, ganz bewusst. Jahrelang wurde uns das als das Wichtigste überhaupt vorgepredigt. Warum ist das nun ein schlechtes Wort?
Der Begriff geht davon aus, dass es eine Mehrheitsgesellschaft gibt und dass Menschen, die hierherkommen, sich anpassen müssen. Das hat auch etwas Ausgrenzendes. Uns geht es darum, dass wir zusammen eine diverse Stadtgesellschaft gestalten. Wir wollen nicht weitermachen wie bisher und festlegen, dass „die anderen“ sich anpassen. Uns geht es um Partizipation: die Einbeziehung aller Menschen. Wir wollten diesen Begriff schon vor zehn Jahren abschaffen – die SPD hat sich geweigert.

Heute weigert sich die SPD wieder, könnte man sagen, sie argumentiert scharf gegen ihre Migrantenquote. Sehen Sie Verhandlungsspielraum?
Mir ist leider überhaupt nicht klar, was die SPD möchte. Ich weiß nur, was sie nicht will. Aber es reicht im Jahr 2021 einfach nicht mehr, so ein Sätzchen mit einer Absichtserklärung in ein Gesetz zu schreiben. Das hat jetzt zehn Jahre lang nichts geändert. Wenn jemand eine andere Idee hat, wie man diese Zielvorgabe – verbindlich! – umsetzen kann, dann bin ich offen dafür.

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