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Hefte weg, jetzt kommt der Klassenrat: Einmal wöchentlich soll das - vielerorts noch neue - Gremium tagen.

© Oliver Dietze/dpa

Kurz vor der Wahl: Rot-Rot-Grün plant radikale Schulreform in Berlin

Der Berliner Senat überrumpelt Opposition und Verbände. Schon Grundschüler sollen bei den Schulfinanzen mitbestimmen.

Mit dem großen Wurf zur Schulgesetzänderung hatte es nicht geklappt. Nun wollen die Bildungspolitikerinnen der rot-rot-grünen Koalition aber noch auf die Schnelle in der letzten Plenarsitzung vor der Wahl die Gewichte in den Schulen verschieben und sogar in die Stundenpläne eingreifen. Das wurde am Montag bekannt und versetzte die Berliner Schulleitungsverbände in Aufruhr.

Die Aufregung fokussiert sich auf drei Bereiche. Dazu gehört, dass künftig wöchentlich eine Unterrichtsstunde dem Klassenrat zur Verfügung gestellt werden muss, wobei völlig unklar ist, auf Kosten welchen Unterrichtsfaches das gehen soll.

Zudem sollen die Schulleitungen einen Teil ihrer Haushaltskompetenz verlieren, indem sie die Schulkonferenz künftig „planmäßig“ über den Etat abstimmen lassen müssen: Bisher galt das nur für die „Grundsätze“ des Haushalts.

Die Neuregelung bedeutet, dass die Schulleitung alle Ausgaben mit diesem Gremium diskutieren soll, das nur viermal pro Jahr tagt und dem – ebenfalls neu – auch Erst- bis Sechstklässler stimmberechtigt angehören sollen. Bisher mussten sie nur gehört werden.

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Brisant ist der Vorgang vor allem deshalb, weil weder die Opposition noch die Betroffenen zu den Reformen gehört wurden oder überhaupt Fragen stellen konnten. Denn Rot-Rot-Grün hatte den 76-seitigen Entwurf erst wenige Stunden vor der entscheidenden Sitzung des Schulausschusses Ende August den Mitgliedern zur Verfügung gestellt, wie die CDU kritisierte und was die Koalitionsfraktionen auch zugaben.

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Mehr noch: Da die Zeit knapp war, hatten die Schulexpertinnen Maja Lasic (SPD), Regina Kittler (Linke) und Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) einfach einen Gesetzentwurf von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) als „Hülle“ benutzt, der schon den Senat passiert hatte, also im „Geschäftsgang“ war, sodass man Zeit sparen konnte.

Vier Schulleiterverbände schlagen Alarm

Aus dieser Hülle wurde dann der zentrale Punkt – die Abschaffung der Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss an Gymnasien – entfernt und durch die Änderungswünsche der Fraktionen ersetzt. Zwar protestierte die Opposition gegen diese Hauruckaktion, versäumte es allerdings anschließend, dem Opus auf den Grund zu gehen.

Diese Aufgabe übernahm aber der neue Vorsitzende der Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB), Arnd Niemöller, der in der Nacht zu Montag die spektakulären Änderungen des Entwurfs streute. So erfuhren es später auch die anderen Schulleitungsverbände. Am Mittwoch soll es den Hauptausschuss passieren, nächste Woche das Plenum.

Sie sei „fassungslos“ über diese „absurden“ Änderungen, sagte Astrid Sabine Busse von der Interessenvertretung Berliner Schulleitungen im Hinblick darauf, dass die Grundschüler in Sachen Personalmittel über hunderttausende Euro stimmberechtigt werden sollen. „Da drückt sich Misstrauen gegenüber Schulleitungen aus“, befand am Montag auch Gunilla Neukirchen von der GEW-Schulleitervereinigung gegenüber dem Tagesspiegel.

Der Klassenrat kann die Pädagogen herbeizitieren

Wie Sven Zimmerschied von der Sekundarschulleitervereinigung fragte sie, auf Kosten welcher Fächer der Klassenrat tagen solle und was es bedeute, dass das Gremium, das jede Woche in jeder Klasse tagen soll, die Schulleitung oder Lehrkräfte auf Wunsch zur Teilnahme „verpflichten“ kann. Die Vereinigung der Oberstudiendirektoren forderte, „den Gesetzgebungsprozess sofort zu stoppen und eine öffentliche Diskussion der Änderungen zu ermöglichen“.

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Die Fraktionen verteidigten ihren Vorstoß. Dass Grundschüler als gewählte Mitglieder der Schulkonferenz dergestalt über den Haushalt und anderes mitbestimmen könnten, sei "UN-kinderrechtskonform" und "eine Sache des Erklärens", erläuterte Marianne Burkert-Eulitz, Jugend- und Bildungspolitikerin der Grünen auf Anfrage.

Die Grünen verweisen auf die Vereinten Nationen

Wenn eine Schulleitung nicht die Unterstützung von zwei Dritteln der Schulkonferenz habe, "stimmt wohl so einiges in dieser Schule nicht ganz", verteidigte Regina Kittler von der Linken den Kompetenzzuwachs der Schulkonferenz.

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Maja Lasic von der SPD berichtete, dass etliche Schulen bereits gute Erfahrungen mit ihren Klassenräten machten, die es auf freiwilliger Basis bereits gebe. Im übrigen erhofft sich von den erweiterten Rechten der Schulkonferenz, dass sich auch Eltern, Schüler:innen und Lehrkräfte eingehender als bisher mit den Leistungsindikatoren der Schule und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen befassen.

Schulleitungen nannten die Begründung "naiv". Sie sei "erschrocken" von so viel Unkenntnis des Schulbetriebs, ergänzte eine Schulleiterin.
Den Schulgesetzentwurf mit allen Erläuterungen zu den Änderungen finden Sie zum Nachlesen hier.

Die CDU fordert Konzentration aufs Wesentliche

"SPD, Grüne und Linke hämmern nicht nur ohne jede Abstimmung mit den Schulgemeinschaften und in bewusster Missachtung jeglicher Oppositionsrechte die 76-seitige Änderung des Schulgesetzes durch, der Senat setzt auch weiterhin die vollkommen falschen Schwerpunkte", äußerte sich der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Dirk Stettner.

Anstatt sich auf die attestierten Fehler im "roten Bildungssystem" zu konzentrieren und diese zu beheben - Sprachförderung, fehlende Lehrkräfte und Schulplätze, Entbürokratisierung des Schulalltages, Kernfächer, fachgerechte Vertretung statt Stundenausfällen, mehr Handlungsfreiheit für die Schulleitungen im Schulalltag - würden "die schon eh viel zu knappen Unterrichtszeiten durch möchtegernbasisdemokratische Maßnahmen zu Lasten des Unterrichts weiter belastet".

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