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Ham’ Se’s ooch kleena? Diese süßen Worte wird man so bald nicht mehr hören im Bus.

© imago images/Stefan Zeitz

Berlin verabschiedet sich von Barzahlung in Bussen: BVG verteidigt rein bargeldlosen Ticketkauf beim Fahrer

Seit Montag können Fahrgäste wieder vorn einsteigen und ihr Ticket beim Fahrer kaufen – aber nur bargeldlos. Kritik daran weist die BVG nun zurück.

Von Sonja Wurtscheid

Gut 16 Monate steckten Busfahrer hinter Plastikbarrieren, zum Schutz vor dem Coronavirus. Seit Montag darf vorn wieder eingestiegen und bezahlt werden, aber nur mit Karte oder Handy – bargeldlos. Das hänge viele Menschen ab, vor allem Senior:innen seien oft noch auf Schein und Münze angewiesen, sagen Kritiker. „Barzahler dürfen im BVG-Busverkehr nicht ausgeschlossen werden“, moniert etwa der Berliner Fahrgastverband Igeb.

BVG-Sprecher Markus Falkner hält dagegen. „Im März 2020 haben wir den Vordereinstieg zugemacht. Es gab die ganze Zeit keine Möglichkeit, Tickets im Bus zu kaufen“, sagte er am Donnerstag dem Tagesspiegel. Verglichen dazu sei die Neuerung „eine deutliche Verbesserung“.

So wechsele in der Pandemiezeit kein Bargeld mehr von Hand zu Hand. Fortan muss beim Einstieg per EC-, Kreditkarte oder Handy (zum Beispiel Apple- oder Google-Pay) bezahlt werden. Wer schon vor der Fahrt ein Ticket habe, könne wie gewohnt auch hinten einsteigen, heißt es. Die elektronische Bezahlung soll die Busse pünktlicher werden lassen, so die Hoffnung.

Nur: Was machen Menschen, die weder eine Geldkarte besitzen noch eine Bezahl-App auf ihrem Handy haben? „Die allermeisten Menschen haben die Möglichkeit, so zu zahlen“, argumentierte Sprecher Falkner. Das Zahlsystem in den Bussen funktioniere mit dem NFC-Verfahren. Das steht für „Near Field Communication“, zu deutsch Nahfeldkommunikation. Heißt: „Karte ranhalten, piep und fertig“, sagte Falkner. Die meisten Geldkarten besäßen diese Funktion.

Keine Corona-Schutzmaßnahme, sondern Kostensenkung

Wer sein Ticket bar zahlen muss oder möchte, sagte Falkner weiter, habe die Möglichkeit, das an den Verkaufsstellen zu tun. Die BVG habe mit Blick auf das kontaktlose Bezahlen in Bussen extra mehr Verkaufsstellen eingerichtet.

Die Abschaffung der Barzahlung in den Bussen „als Corona-Schutzmaßnahme zu verkaufen“, findet der Fahrgastverband Igeb „dreist“. Die BVG benutze Corona als Deckmantel für „schon vor der Pandemie geplante Verschlechterungen für die Fahrgäste“. Die Umstellung diene allein dem Zweck, die Kosten für die BVG zu senken, kritisiert der Igeb.

Für die meisten Menschen – auch in Deutschland – sei das kontaktlose Bezahlen längst Alltag, kontert die BVG. „Dieser Trend hat sich in der Pandemie deutlich verstärkt.“ Das Unternehmen wolle selbstverständlich allen Menschen die Möglichkeit bieten, mit Bus und Bahn zu fahren. „Deshalb haben wir (neben den 684 stationären Automaten und neun Kundenzentren) die Zahl der Verkaufsstellen in Agenturen und Reisemärkten auf mehr als 300 aufgestockt.“

Rein bargeldlose Ticketautomaten gibt es bereits von der BVG.
Rein bargeldlose Ticketautomaten gibt es bereits von der BVG.

© Sonja Wurtscheid/dpa

Das neue Zahlsystem sei modern und zeitgemäß, und es erleichtere den Ticketkauf — etwa für Besucher:innen aus anderen Ländern. „Eine ganz große Gruppe derer, die möglicherweise nicht über Karten-Zahlungsmittel verfügen, ist zudem gar nicht betroffen“, nämlich Schüler:innen. „Sie haben ein kostenloses Ticket“, argumentiert die BVG.

Kritik kam auch von den Berliner Regierungsparteien. Aus Sicht der Linksfraktion ist das rein elektronische Bezahlsystem nicht sozial. Zwar unterstütze die Fraktion die Bemühungen der BVG, den bargeldlosen Ticketkauf zu verbessern, sagte der verkehrspolitische Sprecher Kristian Ronneburg „Die Abschaffung des Zahlungsverkehrs mit Bargeld lehnen wir jedoch entschieden ab.“ Es werde auf absehbare Zeit weiterhin Menschen geben, die darauf angewiesen sind, mit Bargeld zu bezahlen.

„Es sollte für alle möglich sein, den Bus zu benutzen.“

Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, sagte: „Die Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar. Das grenzt alle aus, die keine EC-Karte oder kein modernes Handy haben.“ Das könne etwa Menschen in schwierigen finanziellen Lebenslagen wie Wohnungslose und vor allem ältere Menschen betreffen, die vielfach auf den Bus angewiesen seien. „Es sollte für alle möglich sein, den Bus zu benutzen, egal ob sie mit Bargeld oder bargeldlos ihr BVG-Ticket bezahlen.“

Die Verkehrsverwaltung, geführt von der grünen Senatorin Regine Günther, mahnte Dialogbereitschaft an. Das Zahlen mit Bargeld sei für viele Fahrgäste nach wie vor eine wichtige Alternative, deshalb müssten geeignete Alternativen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, wie etwa zusätzliche Verkaufsstellen in der Peripherie, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. „Zudem müssen weiterhin Abstimmungen und Evaluationen gemeinsam mit Betroffenen-Verbänden von Menschen mit Behinderungen und von Senior*innen erfolgen.“

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Scharfe Kritik kam von der SPD: „Sollen Busfahrer ältere Menschen aus dem Bus werfen, weil sie bar zahlen wollen und keine elektronischen Zahlungsmittel benutzen?“ sagte Daniel Buchholz, verkehrspolitischer Sprecher. „Neue ‚Plastik-Barrieren‘ für die Kunden sind der falsche Weg.“

Zu der Frage, ob das rein elektronische Bezahlen auch nach der Pandemie bleiben soll, äußerte sich die BVG bislang nicht. Fakt ist aber, dass sie alle Busse bereits auf das neue System umgestellt und entsprechend Geld investiert hat.

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