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Vertrat den Botschafter beim Gedenken in Seelow: der russische Militärattaché Sergej Tschukhrov.

© Christoph M. Kluge

Auch Anmelder des russischen Autokorsos dabei: Moskaus Militärattaché gedenkt Toten des Zweiten Weltkriegs in Brandenburg

Am Ehrenmal in Seelow: Wo sich russische Rocker, zwielichtige Privatpersonen, Ex-DDR-Soldaten und junge Männer in armenischen Armee-Uniformen Hallo sagen.

Der russische Militärattaché hat am Sonnabend im brandenburgischen Seelow der Toten des Zweiten Weltkriegs gedacht – begleitet von russischen Rockern und ehemaligen DDR-Soldaten.

Erst vor einer Woche war der Zweite Weltkrieg wieder ganz nah im brandenburgischen Seelow. Kinder fanden beim Spielen in einem Wald eine Panzergranate. Die Eltern alarmierten die Polizei, am Donnerstag wurde der Sprengkörper wurde entschärft. Der Fund erinnert an die Schlacht auf den Seelower Höhen, die letzte große Feldschlacht in Europa. Im April 1945 besiegte die Rote Armee die Wehrmacht, Zehntausende Soldaten fielen auf beiden Seiten.

Die DDR errichtete dem Sieg eine Gedenkstätte und führte am Jahrestag ritualisierte Veranstaltungen durch. Doch nach der Wende geriet Seelow aus dem Blickfeld der großen Politik. Nur der russische Botschafter legte alljährlich einen Kranz nieder, hielt dabei eine Rede vor lokalen Politikern. In diesem Jahr kam statt des Botschafters der russische Militärattaché Sergej Tschukhrov.

Der Große Vaterländische Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland bis heute genannt wird, sei von aktuellem Interesse, sagte Tschukhrov zu Journalist:innen.

Nach 1945 habe man zwar geglaubt, der der Faschismus sei besiegt. „Aber es scheint, als sei der Krieg noch nicht vorbei. Noch immer gibt es Faschismus.“ Damit spielte er auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an. Den bezeichnet die Kremlpropaganda als „Entnazifizierung“, um ihren völkerrechtswidrigen Einmarsch zu rechtfertigen.

Auch die „Nachtwölfe“ sind vor Ort

Begleitet wurde der Attaché nicht nur von einer Botschaftsdelegation, sondern auch von einer größeren Gruppe von Privatpersonen. Dazu gehörten fünf Männer und Frauen in Kutten der kremltreuen Rockergang „Nachtwölfe“. Sie waren allerdings nicht auf Motorrädern gekommen, sondern in Autos, und hatten die Kutten erst kurz vor der Veranstaltung angelegt.

In Lederkluft: die russischen Rocker von den "Nachtwölfen".
In Lederkluft: die russischen Rocker von den "Nachtwölfen".

© Christoph M. Kluge

Auch Christian Freier war dabei, Anmelder der pro-russischen Autokorsos in Berlin. Am Ehrenmal legte er Blumen ab und filmte sich dabei. Eine weitere Delegation bestand aus älteren Herren, die rote Baretts der DDR-Fallschirmjäger trugen. Außerdem nahmen junge Männer in Uniformen der armenischen Streitkräfte teil. Armenien ist ein enger Verbündeter der Russischen Föderation und wurde zuletzt im Krieg gegen Aserbaidschan von Moskau unterstützt.

Handy zur Hand: Christian Freier ist der Anmelder der pro-russischen Autokorsos in Berlin - und nahm am Gedenken in Seelow teil.
Handy zur Hand: Christian Freier ist der Anmelder der pro-russischen Autokorsos in Berlin - und nahm am Gedenken in Seelow teil.

© Christoph M. Kluge

Peter Erler beobachtet das Treiben mit skeptischem Blick. Der Historiker ist mit seiner Familie aus Berlin angereist. Erler weist auf einen Grabstein hin, auf dem in kyrillischen Buchstaben „Schewtschenko“ stand – ein ukrainischer Familienname. Viele der in Seelow gefallenen Soldaten stammten aus dem Land, das damals eine Sowjetrepublik war.

Alina Erler aus der Ukraine: „Auch unsere Großeltern sind im Krieg gestorben“

Das Putinregime vereinnahme diese Gefallenen bereits seit vielen Jahren, sagt Erler. Dass das Gedenken inzwischen auch für aktuelle Kriegspropaganda instrumentalisiert wird, findet er unerträglich. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Alina, die aus der Ukraine stammt, stellt er einen Kranz auf mit Blumen in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb. „Wir wollen die Rolle der ukrainischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg würdigen“, sagte Erler.

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Alina Erler erzählt, sie habe früher an den jährlichen Veranstaltungen am 9. Mai in Treptow teilgenommen. Doch in den letzten Jahren sei die Stimmung dort immer aggressiver geworden. Von russischsprachigen Teilnehmenden habe sie sich bedroht gefühlt. „Auch unsere Großeltern sind im Krieg gestorben“, betont sie.

"Die russische Propaganda fällt auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden"

Erlers Sohn, Thomas Ney, ist Stadtverordneter der Piraten in Oranienburg. Seit Wochen bringt er außerdem regelmäßig Hilfsgüter in die Ukraine. Auf dem Rückweg nimmt er Flüchtlinge mit. „Die Verhältnisse in der Ukraine haben nichts mit Faschismus zu tun“, sagt er. Doch die russische Propaganda falle auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Besonders „beschämend“ habe einen Brief gefunden, den der Landrat von Märkisch-Oderland noch im Februar geschrieben hat.

Erinnerten an die ukrainischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg starben: Alina Erler, Thomas Ney und Peter Erler.
Erinnerten an die ukrainischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg starben: Alina Erler, Thomas Ney und Peter Erler.

© Christoph M. Kluge

Gernot Schmidt (SPD) hatte den russischen Präsidenten Wladimir Putin in dem Schreiben offiziell nach Seelow eingeladen. Der Brief war weithin kritisiert worden. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zog Gerler seine Einladung zurück. Am Ehrenmal lag zwar ein Kranz des Landkreises, doch der Landrat war nicht dort. Der Landkreis wolle nicht Teil einer geschichtspolitischen Inszenierung werden, sagte der stellvertretende Landrat Friedemann Hanke (CDU) dem Tagesspiegel im Vorfeld. „Ich will nicht neben den Nachtwölfen stehen.“

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Gekommen ist dafür Seelows Bürgermeister Jörg Schröder (SPD). Schon am Vormittag hat er mit einer kleinen Gruppe auf dem Stadtfriedhof der Gefallenen gedacht. Dort liegen deutsche Soldaten. Danach legt Schröder auch an der Gedenkstätte einen Kranz nieder. Das mache er jedes Jahr so, sagt er. Die Tradition gehe auf das Jahr 2005 zurück. Damals hätten sich überlebende Veteranen der Schlacht, sowjetische und deutsche, an diesem Ort getroffen und einander unter Tränen in den Armen gelegen. Die Stadt wolle diese Geste der Versöhnung am Leben erhalten.

Auch Schröder hat den Brief an Putin unterschrieben. „Das würden wir heute nicht mehr so machen“, gibt er zu. Aber grundsätzlich sei es wichtig „diplomatische Wege offenzuhalten“. Dass die ukrainische Regierung den Bundespräsidenten Steinmeier vor Kurzem nicht empfangen habe, sei falsch gewesen, meint Schröder.

"Aus der Zeit gefallen"

Tobias Vogt nimmt nicht an der Veranstaltung teil. Er gehört zum Verein „Zeitreise“, der seit 2018 die Gedenkstätte leitet. Während die verschiedenen Delegationen ihre Kränze ablegen, führt er eine Besuchergruppe über das ehemalige Schlachtfeld. Die Gedenkstätte bezeichnet er als „aus der Zeit gefallen“.

Zum Gedenken an den Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland: die Soldatenstatue aus dem Jahr 1945.
Zum Gedenken an den Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland: die Soldatenstatue aus dem Jahr 1945.

© Christoph M. Kluge

Die Soldatenstatue wurde bereits 1945 errichtet, auf direkte Anweisung des siegreichen Sowjetgenerals Schukow. Der Entwurf stammte von Lew Kerbel, der auch unter anderem die Büste des KPD-Führers Ernst Thälmann in Prenzlauer Berg geschaffen hat. Gegossen wurde die Statue in einer Berliner Gießerei, die kurz davor noch Hitlerstatuen hergestellt hatte.

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Der Hauptteil der Anlage wurde aber erst 1972 errichtet. Das Areal sei „überformt“ von der Geschichtspolitik der SED, sagt Vogt. Zu DDR-Zeiten übergaben hier jedes Jahr zum Gedenktag Jungpioniere Blumen an Veteranen der Sowjetarmee. Das ganze Jahr über wurden Schulklassen durch die Ausstellung geführt. Auch die Stasi schickte ihren Nachwuchs hierher.

Seit der Wiedervereinigung ist der Bund für die Pflege der Gedenkstätte zuständig. Doch Vogt kritisiert: Das Leiden der Soldaten im Zweiten Weltkrieg habe heute nur einen geringen Stellenwert in der deutschen Erinnerungskultur. Generell werde das Thema Krieg in Deutschland „verdrängt“. Das zeige sich auch am „hilflosen Umgang mit dem Ukrainekrieg“.

In Seelow vergebe der demokratische Staat eine Chance. An diesem Ort könne politische Bildung anschaulich gemacht werden, um Romantisierung und Geschichtsklitterung vorzubeugen. „Hier muss ein modernes Museum entstehen“, fordert Vogt.

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