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18. Dezember 1997: Die wiederaufgebaute Strecke des Südrings zwischen Sonnenallee und Treptower Park.

© imago/Jürgen Heinrich

150 Jahre Berliner Ringbahn: Die Schließung des Bahn-Rings zählt zu den größten Gewinnen der Wende

Unser Autor hat in der Ringbahn einen weiteren Segen der Wiedervereinigung entdeckt. Fast eine Glosse.

Wie immer bei staatlichen Großprojekten musste erst Geld beschafft werden – das war bei den Preußen vor über 150 Jahren nicht anders als heute im Berliner Senat. Und so war es ausgerechnet die ebenso blutige wie letztlich siegreiche Schlacht gegen die Österreicher bei Königgrätz 1866, die den Ausschlag für den Bau der Ringbahn gab, denn Preußen war nun auf der Höhe seiner Macht in Mitteleuropa und konnte sich was leisten.

Am 17. Juli 1871 – ein halbes Jahr nach der Gründung des Deutschen Reichs – wurde das erste, große Stück der neuen Bahnstrecke von Moabit östlich um die Stadt herum nach Schöneberg in Betrieb genommen, zunächst nur für den Güterverkehr. Doch der große Aufschlag, der die Verkehrsprobleme der aufstrebenden Großstadt bewältigen sollte, war geschafft, fast 50 Jahre, bevor der Ring durch die Gründung Groß-Berlins tatsächlich in die Stadt eingemeindet wurde.

Noch heute gilt dieser Schritt als ein Musterbeispiel weitsichtiger Verkehrsplanung, vielleicht auch, weil es weitsichtige Verkehrsplanung heute anscheinend nicht mehr gibt. Fünf Jahre von der Bewilligung bis zur Fertigstellung? Wir sind gewohnt, in Dezennien zu denken, wenn es darum geht, nur ein paar Bahnkilometer in die Landschaft zu legen, sind durch Planfeststellungsverfahren, Bürgerbeteiligung, Bund-Länder-Konflikte und schier endlose Instanzenwege gefesselt, das hat zuletzt das Drama um ein Stück Dresdner Bahn in Lichtenrade gezeigt – die Probleme einer ausdifferenzierten, aber von überbordender Bürokratie oft nahezu gelähmten Demokratie.

Niemand will deshalb die preußische Monarchie zurück – aber es ist klar, dass sie schneller sein konnte und ein Projekt realisierte, wie es heute unmöglich umzusetzen wäre. Aber auch vor 150 Jahren ging es nicht darum, ein visionäres Bauwerk auf die grüne Wiese zu setzen, das sich dann ein Jahrhundert später als großer Wurf erweisen würde. Denn Industrialisierung und Wohnungsbau beruhten ganz und gar auf den Transportkapazitäten der Bahn, und in Berlin war die nie vollendete „Königliche Bahnhofs-Verbindungsbahn“ zwischen den Kopfbahnhöfen längst am Rande ihrer Möglichkeiten. Die Idee, diese Verkehrsströme außerhalb der Stadt abzufangen und gezielt über Güterbahnhöfe zu verteilen, war der Ausgangspunkt der Ring-Planung, von der dann auch der Personenverkehr profitierte.

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Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Möglichkeit, den Bahn-Ring wieder zu schließen, zählt zu den größten Gewinnen der Wende, auch wenn die Gütergleise immer noch vor sich hin kümmern. Er ergänzt, was die U-Bahn mit ihrem von draußen nach drinnen geplanten Netz nicht leisten kann, er schafft Abkürzungen und Zeitgewinne entgegen eingefleischten Fahrgewohnheiten, die oft erst durch Einsatz der Bahn-Apps sichtbar werden. Auch Ur-Berliner können da immer noch dazulernen.

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Ironischerweise ist es die einst weit um Berlin herumgreifende Ringbahn, die heute, 150 Jahre später, die Innenstadt von den Außenbezirken abtrennt, zumindest psychologisch gesehen, oft aber auch auch politisch. Oft, und oft zutreffend, ist der rot-rot-grüne Senat dafür gescholten worden, dass er reine Innenstadtpolitik betreibt, orientiert an den Gleisen der Bahn und den politischen Mehrheiten, die drinnen anders aussehen als draußen. Der Ring definiert die Umweltzone, und er soll, wenn es nach der Initiative „Berlin autofrei“ geht, künftig auch die Grenze des privaten Autoverkehrs sein.

Das alles führt weg von der Idee eines einheitlichen Groß-Berlin, für das die Ringbahn die Weichen gestellt hat. Aber diese Debatte wird sicher länger dauern als der Bau der Gleise vor 150 Jahren.

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