Ausschreitungen bei verbotener „Querdenker“-Demo in Berlin: Tausende Demonstranten, 600 Festnahmen und 2250 Beamte im Einsatz
+++Verkehrschaos in West-Berlin+++
Die Berliner Polizei war trotz des Verbots von 13 Demonstrationen zur Corona-Pandemie das gesamte Wochenende mit einem großen Aufgebot im Stadtgebiet unterwegs. „Wir werden verhindern, dass die Menschen zu den verbotenen Versammlungen zusammenkommen“, so ein Polizeisprecher zuvor.
Berlin – Am Sonntag zeigte sich, dass die Beamten gefordert sind! Denn trotz Verbots versammelten sich sogenannte „Querdenker“, vor allem im Berliner Westen. Bis zum Abend gab es rund 600 Festnahmen.
Dort spitzte sich die Lage am Mittag so zu, dass Wasserwerfer und ein Räum-Panzer hinzugezogen wurden. Drei Wasserwerfer wurden vor der Siegessäule am Großen Stern postiert, da sich dort viele Demonstranten versammelten. Der Platz wurde komplett abgeriegelt, kein Durchkommen mehr. Polizeiwagen sind vor Ort, auch ein Hubschrauber ist im Einsatz. Absperrgitter sind aufgestellt.
Über Lautsprecherdurchsagen wurden die Demonstranten darüber informiert, dass sie Teilnehmer einer verbotenen Ansammlung seien und der Wasserwerfer eingesetzt würde, sollten sie nicht selbstständig gehen, so die Polizei auf Twitter.
Es brauchte drei Durchsagen, dann lösten sich die Gruppen laut Polizei auf. Zudem gab es mehrere Personenkontrollen, dabei beklagte sich einer der Teilnehmer (49) über ein Kribbeln in Arm und Brust. Ein Rettungswagen brachte den Mann ins Krankenhaus, wo er wenig später verstarb. Ein Todesermittlungsverfahren wurde eingeleitet.
Bis zum Abend habe es rund 600 Festnahmen und vorübergehende Festnahmen zum Aufnehmen der Personalien gegeben, sagte ein Sprecher der Polizei. „Das Aggressionspotenzial variierte.“
Es seien auch Polizisten verletzt worden – eine genaue Zahl und weitere Details nannte er jedoch nicht.
Tausende in der ganzen Stadt unterwegs
Die unterschiedlichen Brennpunkte zusammengerechnet, sei eine Größenordnung 5000 oder darüber hinaus aber realistisch.
In verschiedenen Stadtteilen kreisten Hubschrauber, weil sich „Querdenker“-Gruppen in der Hauptstadt verstreut hatten – sie waren unter anderem in Charlottenburg, Schöneberg, Mitte und Kreuzberg unterwegs.
► Am Vormittag seien trotz Versammlungsverbots bis zu 2000 Menschen im Bereich Westend in Berlin-Charlottenburg zusammengekommen, sagte der Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. Die Polizei habe dort wie an anderen Stellen interveniert, Menschen angehalten, kontrolliert und Platzverweise erteilt.
► Am Nachmittag seien an der Siegessäule an der Straße des 17. Juni ebenfalls etwa 2000 Menschen zusammengekommen. Sie hätten versucht, in den Bereich einzudringen, für den die Initiative „Querdenken 711“ eine Kundgebung mit 22 500 Teilnehmern angemeldet hatte, die dann aber verboten wurde. „Das konnten wir unterbinden“, so der Sprecher. „Wir haben Fahrzeuge als Absperrungen genutzt, auch Absperrgitter.“
► Stadtweit sei es im Lauf des Tages immer wieder zu Menschenansammlungen gekommen. Nach bisherigen Erkenntnissen sei von insgesamt mehreren tausend Menschen auszugehen. „Wir hatten ursprünglich damit gerechnet, dass das bis in den fünfstelligen Bereich reicht“, so der Sprecher. „Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen.“
Welche Taktik verfolgte die Polizei?
Auf die Frage nach der Taktik der Polizei und warum es Menschen gelungen sei, sich zu versammeln, sagte er: Die Polizei sei angehalten, mit Augenmaß vorzugehen. „Wir können jetzt nicht jede Person willkürlich kontrollieren, etwa am Pariser Platz.“
Menschen hätten sich beispielsweise auch aus touristischen Hotspots heraus bewegt und seien zu mehreren Hundert zusammengekommen, sagte der Sprecher. Die Polizei habe sie wieder zerstreut.
Chaotische Lage am Nachmittag
Nachdem die Demonstranten an der Siegessäule von der Polizei gestoppt wurden, verteilten sie sich in der Stadt. Dabei zogen sie über den Tiergarten nach Charlottenburg, nach Schöneberg und ein Teil von ihnen später auch nach Kreuzberg.
Die Polizei war dabei zu großen Teilen kaum oder gar nicht zu sehen, die Straßen waren nicht abgesperrt. So konnten die Corona-Regel-Gegner weitestgehend ungestört über die Straßen ziehen, es kam stellenweise zu einem massiven Verkehrschaos.
Ecke Zoologischer Garten am Mittag: Demonstranten ziehen vom Zoo in Richtung Tauentzien, nahe Kurfürstendamm. Aufnahmen von dort zeigen, dass die Demonstranten unkontrolliert über die Straße gehen, von den wenigen Polizisten nicht aufgehalten werden können.
Gleiches Bild später an der Kurfürstenstraße, ganz in der Nähe: Mehrere hundert Menschen waren von der Siegessäule an der Straße des 17. Juni am Breitscheidplatz vorbei dorthin gezogen.
Auf Transparenten von Gegnern der Corona-Politik standem Parolen wie „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ oder „Kein Test: keine Pandemie“. Etliche von ihnen haben Trommeln oder Trillerpfeifen dabei.
Im Video eines „Tagesspiegel“-Journalisten ist außerdem zu sehen, wie einzelne Demonstranten den Nationalsozialismus verharmlosen. Eine Teilnehmerin ruft etwa: „Es ist ein Nazi-Regime seit 16 Jahren!“
Es herrschte Verkehrschaos! Teilweise geht gar nichts mehr. Immer wieder müssen Autos anhalten und hupen laut.
Auf der Hardenbergstraße in Schöneberg konnten Demonstranten ohne Einschränkungen auf der Fahrbahn laufen.
► Die Polizei teilte dazu am Nachmittag auf Twitter mit: „Aktuell bewegen sich Personengruppen durch Schöneberg im Bereich Potsdamer Str., Kurfürstenstr., Martin-Luther-Str.. Die Fahrbahnen sind dafür nicht gesperrt. Unsere Kolleg. versuchen, zeitnah den Verkehr zu regeln, wir bitten dafür um Verständnis. Seien Sie vorsichtig.“
Ausschreitungen am Vormittag
Der Berliner Westen war am Vormittag und Mittag der Hotspot der Corona-Regel-Gegner. Laut Polizei hatten „größere Personengruppen“ versucht, sich dort an mehreren Orten zu versammeln und auch in Bewegung zu setzen.
Laut Polizei wurden Absperrungen ignoriert, teilweise überrannt und Einsatzkräfte angegriffen. „Es kommt zum Einsatz von Reizstoff, Schlagstock und körperlicher Gewalt“, teilte die Polizei mit.
► Ursprünglich hatte es am Vormittag auf dem Olympischen Platz einen genehmigten Autokorso unter dem Motto: „Wir fordern die uneingeschränkte Wiederherstellung des Demonstrationsrechts Art. 8 GG“ gegeben. Voraussetzung für die Teilnahme: ein Auto und die Einhaltung der Corona-Regeln.
Aber: Unter diese genehmigte Versammlung sollen sich nach BILD-Informationen auch 1500 Querdenker gemischt haben. Sie zogen vormittags durch die Nebenstraßen, wo es zu ersten Ausschreitungen kam, wie Videos auf Twitter und Fotos zeigen.
Auf den Aufnahmen zu sehen: Während die Polizei versucht, einen Strom von Menschen aufzuhalten, laufen viele Personen an den Beamten vorbei. Es kommt zu Rangeleien zwischen Beamten und Demonstranten. Eine Polizeisprecherin sagte dazu am Sonntag: „Hierbei musste in einzelnen Fällen körperliche Gewalt angewendet werden.“
► Ab dem Vormittag versammelten sich dann Corona-Regel-Gegner in der Reichsstraße zu einer verbotenen Ersatzversammlung. Dort stoppte die Polizei am Mittag solch einen Aufzug. Es soll mehrere Lautsprecherdurchsagen geben. Werden die Aufforderungen nicht befolgt, will die Polizei den Bereich nach BILD-Informationen räumen. Am Mittag gab einzelne Festnahmen. Und: Ein Bus, in dem Querdenker angereist sein sollen, wurde nach BILD-Informationen beschlagnahmt.
► Eine große Gruppe, die vom Olympischen Platz Richtung Messedamm gelaufen sei, sei von den Einsatzkräften gestoppt worden und bewege sich nun zurück Richtung Heerstraße, hieß es.
► Auch am Brandenburger Tor war die Polizei im Einsatz, sperrte die Gegend mit Gittern ab und fragte einzelne Personen, wohin sie gehen wollen. Dort war die Lage am Mittag aber ruhig.
2250 Beamte im Einsatz
Das Oberverwaltungsgericht hatte am späten Samstagabend in einem Eilverfahren das Verbot einer Kundgebung der Initiative „Querdenken 711“ aus Stuttgart bestätigt. Sie hatte für Sonntagnachmittag 22 500 Teilnehmer an der Straße des 17. Juni angemeldet.
Trotzt des Verbots dieser Groß-Demo sollen an diesem Sonntag nach bisherigen Planung rund 2250 Polizeikräfte im Einsatz sein. Die Strategie sei ähnlich wie die am Samstag: Man wolle Menschen frühzeitig ansprechen, Reisebusse anhalten und Platzverweise erteilen, sagte ein Polizeisprecher.
Der Samstag blieb ruhig. Es seien einige Platzverweise ausgesprochen und Stromaggregate sichergestellt worden. Zudem habe es rund 60 Freiheitsbeschränkungen gegeben, twitterte die Polizei abends.
Die Berliner Polizei hatte mit Blick auf das Coronavirus für dieses Wochenende mehrere Proteste untersagt. Sie begründete dies unter anderem damit, dass die Teilnehmenden regelmäßig Regelungen etwa zum Infektionsschutz nicht akzeptierten. Dagegen waren die Anmelder mehrerer Demonstrationen vorgegangen.
Das Verwaltungsgericht wies mehrere Eilanträge zurück. Das Gericht verwies am Freitag in der schriftlichen Mitteilung zu einem der Anträge auch auf die Delta-Variante des Coronavirus, die „eine deutlich höhere Übertragbarkeit“ aufweise. Die Infektionsgefahr weite sich durch die Anreise der Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet noch aus.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) bestätigte das Demoverbot nun ebenfalls in mehreren Fällen. Das OVG teilte mit, das Hygienekonzept lasse „deutliche Zweifel“ an der Bereitschaft des Antragstellers aufkommen, „effektiv auf die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen hinzuwirken“.