Droht der Prozess jetzt zu platzen?: Angeklagter KZ-Wachmann muss ins Krankenhaus

Der ehemalige KZ-​Wachmann Josef S. (100) ​wird von Sanitätern zur Anklagebank in ​der Brandenburger Turnhalle geführt

Der ehemalige KZ-​Wachmann Josef S. (100) ​wird von Sanitätern zur Anklagebank in ​der Brandenburger Turnhalle geführt

Foto: David Heerde
Von: Matthias Lukaschewitsch

Brandenburg (Havel) – Droht der Prozess um den 100-jährigen Wächter des Todes – Ex-KZ-Wachmann Josef S. – doch noch zu platzen?​

Äußerlich unverändert, auf den Rollator gestützt, schiebt sich der greise Mord-Angeklagte am Freitagmorgen um 10 Uhr in den Gerichtssaal. Doch dann ergreift der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann das Wort.

Sorgenfalten auf der Stirn, ernste Miene: „Mir wurde gemeldet, dass der Angeklagte Herr S. sich am Montag einem operativen Eingriff im Krankenhaus unterziehen muss.“ Eine Prognose, wie und wann der betagte Angeklagte wieder verhandlungsfähig ist, wollte der Richter nicht wagen.

Richter Udo Lechtermann beim Prozess gegen SS Rottenführer Joseph S.

Richter Udo Lechtermann beim Prozess gegen SS Rottenführer Josef S.

Foto: David Heerde

„Es heißt, es könnten wenige Tage sein, dass Herr S. wieder entlassen wird, aber sicher ist das keineswegs.“​ Die beiden Termine kommende Woche (28. und 29. Oktober) würden schon einmal ausfallen.

„Im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse hier in der Verhandlung, geht es nicht anders“, so der Richter.​ Ratlose Blicke auf der Bank der Anwälte der Nebenkläger – sie vertreten Söhne von ermordeten Insassen im KZ-Sachsenhausen und noch lebende Überlebende.

Ein Schock-Moment! Denn: Könnte dieser Prozess, einer der letzten großen NS-Prozesse in Deutschland, nun doch noch wegen der angegriffenen Gesundheit eines Angeklagten scheitern?

Joseph S. sitzt mit seinem Verteidiger, Anwalt Stefan Waterkamp, im Gericht

Josef S. sitzt mit seinem Verteidiger, Anwalt Stefan Waterkamp, im Gericht

Foto: David Heerde

Es geht um nichts weniger als den Vorwurf, dass Josef S. als SS-Wachmann mitverantwortlich ist für den Tod von 3518 Insassen im KZ-Sachsenhausen. Beihilfe zum Mord ist der Anklagevorwurf.​

Zu Art, Umfang und Grund der OP beim KZ-Wachmann wurde am Freitag nichts bekannt.

Doch der Angeklagte selbst ließ auf die Frage des Richters – „Wie geht es Ihnen Herr S., tut Ihnen was weh?“ – erkennen, dass etwas nicht stimmt. „Mir jeht dat nicht jut, ja nich jut, aber des kann ich Sie noch erzählen …“, gab Josef S. als Antwort in seinem ostpreußisch gefärbten Deutsch.

Er stammt aus Litauen, ist ein sogenannter „Volksdeutscher“, der im Memelgebiet zur Minderheit der Litauendeutschen gehört.​ Am Freitag folgte Josef S. den Berichten zweier Kriminalbeamter dann aber doch noch aufmerksam und wach. Von Schwäche, oder Erschöpfung war nichts zu merken.

Doch, wie – und ob – es in zwei Wochen mit dem Prozess dann weitergeht, das ist seit Freitag mehr als fraglich.​ Ein Verfahren, in das viele Ermittler über zwei Jahre viel Energie gesteckt haben, wie eine Kriminalkommissarin am Freitag auch vor Gericht aussagte.

Ute Henke (48) zitierte den überlebenden Professor Alexander Fried aus ihrer Vernehmung (im August 2020): „Frau Henke, ich finde es wunderbar, dass die Polizei sich endlich mit diesen Verbrechen jetzt beschäftigt und nicht vergessen wird, was dem jüdischen Volk angetan wird.“

In zwei Wochen soll ein Überlebender des KZ-Sachsenhausen aus Israel nach Brandenburg für eine Aussage kommen – noch ist die Reise gebucht.

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