Fünf Jahre nach tödlichem Rennen: Berliner Ku’damm-Totraser erneut verurteilt

Marvin N. raste in diesem AMG-Mercedes (380 PS) über den Kurfürstendamm. Bei dem schweren Unfall im Jahr 2016 starb der unbeteiligte Rentner Michael W.

Marvin N. raste in diesem AMG-Mercedes (380 PS) über den Kurfürstendamm. Bei dem schweren Unfall im Jahr 2016 starb der unbeteiligte Rentner Michael W.

Foto: spreepicture
Von: Anne Losensky

2017 hatte das Berliner Landgericht Marvin N. und Hamdi H. (32) als Mörder verurteilt, nachdem bei einem illegalen Rennen ein Unbeteiligter starb. Den Schuldspruch gegen Hamdi H. bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH). Das Mordurteil für Marvin N. hatten die Bundesrichter zuletzt aufgehoben und eine Neuverhandlung angewiesen.

Berlin – Am Dienstag wurde nun erneut ein Urteil gegen Marvin N. gesprochen. Mehr als fünf Jahre nach dem tödlichen Autorennen auf dem Berliner Ku'damm wurde er zu 13 Jahren Haft verdonnert. Dazu kommen fünf Jahre Führerscheinsperre.

Marvin N. (29) am Dienstag vor Gericht. Er wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt

Marvin N. (29) am Dienstag vor Gericht. Er wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt

Foto: Olaf Wagner

Anders als in zwei früheren Urteilen entschied das Landgericht diesmal nicht auf Mord. Der inzwischen 29-jährige Marvin N. wurde des versuchten Mordes (Merkmale: Heimtücke und niedrige Beweggründe), der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs und der fahrlässigen Körperverletzung (der Beifahrerin) schuldig gesprochen.

Fünf Jahre sitzt er schon im Knast. Da er nicht vorbestraft war, kann er als Ersttäter bei guter Führung bereits nach der Hälfte der Strafe entlassen werden – das wäre schon in anderthalb Jahren!

Die Urteilsbegründung

Während der Urteilsbegründung saß Marvin N. mit aufgestütztem Kopf auf seinem Platz, wirkte gelangweilt. Schwarzer Jogging-Anzug der Luxus-Marke Philipp Plein (ab 800 Euro), gestutzter Vollbart, Golduhr am Handgelenk.

Der Richter brauchte mehr als eineinhalb Stunden. „Es war kein organisiertes oder verabredetes Rennen“, sagt der Richter, „sondern eine spontane, illegale Wettfahrt.“ Beide Fahrer hätten sich „gegenseitig angestachelt“ und dabei einen tödlichen Unfall verursacht.

Mercedes-Fahrer Marvin N. „hätte jederzeit anhalten können“, habe aber „entschieden, um jeden Preis vorne zu bleiben“. Der Richter: „Er war sich der Risiken seiner Fahrweise bewusst und ist bewusst das Risiko eingegangen, über die rote Ampel zu fahren. Nur durch Zufall ist er nicht angestoßen, er hatte es nicht in der Hand, ob er oder der andere Fahrer den Jeep trifft.“ Er habe zwar „gezögert, aber wieder Gas gegeben“. Das erfülle die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe. Für Mordversuch lautet die Strafe eigentlich lebenslang.

Totraser am Berliner Ku'damm: Der Weg des Mercedes AMG – Karte Info.BILD.de

► Der Richter: „Fast hätte es auch für lebenslänglich gereicht, Sie fuhren mit extrem überhöhter Geschwindigkeit, mehr als das Zweieinhalbfache des Erlaubten. Und missachteten die Ampel, die schon längere Zeit rot war.“ Aber strafmildernd sei zu berücksichtigen: Marvin N. war nicht vorbestraft, ließ sich spontan hinreißen, betätigte danach den Notruf, kümmerte sich um die verletzte Beifahrerin „und hat sich in allen Hauptverhandlungen teilgeständig eingelassen und entschuldigt.“

Gegen das Urteil kann er in Revision gehen. Die Staatsanwaltschaft hatte ebenfalls 13 Jahre Haft beantragt.

Maximilian Warshitsky (40), Sohn des getöteten Jeep-Fahrers, sagte zu BILD: „Es ist unerheblich, ob er rechts oder links gerast ist. Er hätte das Rennen beenden können.“ Für ihn sind beide Raser gleichermaßen schuldig am Tod seines Vaters.

Die Chronologie der Prozesse

► 2017 hatte das Berliner Landgericht beide Raser als Mörder verurteilt. So ein Urteil gegen Autoraser hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Der Schuldspruch wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) aber aufgehoben.

► Ein nächster Prozess platzte – Begründung: Der Richter sei voreingenommen.

► Neuer Anlauf, zweites Urteil dann im Jahr 2019. Wieder wurden beide Raser wegen Mordes zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Der Bundesgerichtshof ließ aber nur die Strafe für Hamdi H. rechtskräftig werden. Grund: Er ist mit seinem Audi in den Jeep des Opfers gekracht (Mordmerkmale sind Heimtücke und Tötung aus niedrigen Beweggründen). Das Mordurteil für Marvin N. hoben die Bundesrichter auf und forderten eine Neuverhandlung. Marvin N. musste ein viertes Mal vor Gericht, weil ein „gemeinschaftlicher Tatentschluss“ für mittäterschaftlichen Mord nicht belegt sei.

► Dieser Prozess, der mit dem heutigen Urteil endete, startete am 6. Oktober 2020. In dem Prozess brach Hamdi H. als Zeuge erstmals sein eisernes Schweigen: „Ich war jung, ich war dumm, ich war naiv. Ließ mich provozieren, ließ mich darauf ein. So kam es, dass jemand gestorben ist. Ich sage nur das, was ich noch weiß.“

Mit 160 km/h in den Jeep des Rentners gekracht

Das war am 1. Februar 2016 passiert: Marvin N. (AMG-Mercedes, 380 PS) aus Berlin-Marzahn und Hamdi H. (Audi A6, 225 PS) aus Berlin-Moabit heizten nachts über Kurfürstendamm und Tauentzienstraße. Zweieinhalb Kilometer, elf rote Ampeln.

An der Ecke Nürnberger Straße die Katastrophe: Pensionär Michael W. überquerte mit seinem Jeep bei grüner Ampel die Kreuzung. Der Fahrer (69) hatte keine Chance, er war nach dem Aufprall sofort tot. Auf der Straße sind 50 km/h erlaubt.

Der Audi schoss mit mindestens 160 km/h in ihn rein, der Jeep schleuderte 70 Meter weit. Der Mercedes krachte in eine Grünfläche, der Tacho zeigte 138 km/h.

Die Rechtslage

Seit Oktober 2017 können Teilnehmer an illegalen Autorennen härter bestraft werden. Im Strafgesetzbuch gibt es nun den Paragrafen 315d. Wird durch ein „verbotenes Kraftfahrzeugrennen“ der Tod eines anderen Menschen verursacht, können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden. Rückwirkend kann diese Bestimmung aber nicht auf den Berliner Raser-Fall angewandt werden.

Experte zum Berliner Totraser-Urteil»Das ist ein deutliches Signal an die Raser-Szene!

Quelle: BILD, Foto: Paul Zinken / dpa
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