„… dann müssen Sie uns das endlich sagen“: Brandenburg: Richter redet KZ-Wärter ins Gewissen

Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann (66) mahnte den Angeklagten, im Prozess endlich die Wahrheit zu sagen

Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann (66) mahnte den Angeklagten, im Prozess endlich die Wahrheit zu sagen

Foto: Mario Firyn
Von: Matthias Lukaschewitsch

Brandenburg (Havel) – Es ist 11.45 Uhr, als der Sohn eines Widerstandskämpfers aus Frankreich die leidvolle Geschichte seiner Familie in der zum Gerichtsaal umfunktionierten Turnhalle erzählt hat.

Doch der angeklagte KZ-Wachmann Josef S. (100) lässt wieder einmal keine Regung erkennen. Wie so oft. Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen wird ihm vorgeworfen. Aber Josef S. schweigt weiter. Nur einmal hat er was dazu gesagt, ostpreußisch eingefärbt: „Sachsenhausen bin ich nie jewesen. Kenn´das nicht, ich kenn das ja nich.“

Jetzt ergreift der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann (66) das Wort, um Josef S. ins Gewissen zu reden!

Der Richter: „Herr S., Sie schweigen zu den Anklagevorwürfen, haben ja aber einmal gesagt, Sie waren nie in Sachsenhausen. Aber Sie stehen in den Akten der SS und der Lagerverwaltung.“ Konkret: mit Namen, Geburtsort und Geburtstag. Als Rottenführer einer SS-Totenkopfbrigade.

Angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in3518 Fällen: Der frühere KZ-Wachmann Josef S. (100)

Angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in3518 Fällen: Der frühere KZ-Wachmann Josef S. (100)

Foto: Mario Firyn

Der Richter macht klar: „Es kann doch nur eins stimmen, Herr S.! Sind Sie nicht der Mann, der da in den Unterlagen steht, dann wäre es schön, wenn Sie uns sagen würden, wer Sie sind, was Sie in der Zeit gemacht haben und wo Sie da waren. Dann können wir das überprüfen.“

Fast schon wie ein Lehrer zu einem verstockten Schüler redet der Richter weiter auf Josef S. ein: „Wenn Sie aber, Herr S., der SS-Wachmann sind, dann – na ja – dann müssen Sie uns das endlich sagen. Damit wir der Wahrheit nahekommen. Das gebietet der Anstand und wäre wichtig für die Zeugen und auch eine Genugtuung für die Opfer.“

Unter den Opfern sind Zeugen wie André Lassargue (78), der kurz zuvor darüber berichtet hat, wie sein Vater Noel Lassargue Ende März 1943 mit 26 Jahren in Sachsenhausen ermordet wurde. Sein Vater war Mitglied in der „Résistance“ gegen die Nazi-Besetzung Frankreichs und wurde 1942 deportiert.

Der Franzose hatte seinen Vater nie kennenlernen dürfen. Er wurde vier Wochen vor dessen Ermordung in Sachsenhausen geboren. Er sagt vor Gericht: „Ich habe nie jemanden gehabt, den ich Papa nennen durfte. Das ist ein Schmerz, der nie zu heilen sein wird. Ich will keine Rache, aber die Täter sollen bestraft werden. Auch jetzt noch.“

Er zeigt ein Foto seines Vaters. Neben einem Hochzeitsbild seiner Eltern alles, was ihm vom Vater geblieben ist. „Ich danke Ihnen, dass ich die Geschichte meines Vaters erzählen durfte“, sagt er zu Richter Udo Lechtermann.

Sein Vater Noel (26, kleines Foto) ist 1943 im KZ-Sachsenhausen ermordet worden: André Lassargue (78)

André Lassargue (78): Sein Vater Noel (26, kleines Foto) ist 1943 im KZ-Sachsenhausen ermordet worden

Foto: Mario Firyn

Der Richter gibt dem greisen Angeklagten den Rat, bis kommende Woche über seine Worte nachzudenken: „Wenn Sie im KZ waren als Wachmann, dann sagen Sie: Ja, okay, ich war damals dabei und habe da mitgemacht.“

Mahnend schließt er mit den Worten: „So können und sollten wir das aber hier nicht stehen lassen.“

Der Prozess wird kommenden Donnerstag fortgesetzt.

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