Was ist da los?: Corona-Lage in Brandenburg doppelt so schlimm wie in Berlin

In Brandenburg breitet sich die vierte Corona-Welle explosionsartig aus

In Brandenburg breitet sich die vierte Corona-Welle explosionsartig aus

Foto: Monika Skolimowska/ZB
Von: Michael Sauerbier

Potsdam/Berlin – Mit Verwunderung und wachsendem Entsetzen schauen viele Berliner nach Brandenburg. Dort breitet sich die vierte Corona-Welle explosionsartig aus – bis vor die Tore der Hauptstadt. Was ist im Nachbarland nur los?

3813 Neuinfektionen meldete das Potsdamer Gesundheitsministerium am Donnerstag – 1102 mehr als Berlin. Obwohl die Stadt 1,2 Millionen mehr Einwohner hat.

Mit 655 ist Brandenburgs Inzidenz fast doppelt so hoch wie in Berlin (357). Der dritthöchste Wert nach Sachsen (1074) und Thüringen (773). Brandenburg liegt jetzt sogar noch vor Bayern (641). Und anders als in der Hauptstadt steigen die Zahlen weiter täglich an.

Map/Atlas: Corona-Neuinfektionen in Brandenburg - Infografik

► 1490 Menschen haben sich allein in den letzten 7 Tagen im Elbe-Elster-Kreis angesteckt. Drei weitere Landkreise haben die 1000er-Inzidenz überschritten, auch der Flughafen-Kreis Dahme-Spreewald, der direkt an Neukölln, Tempelhof und Köpenick grenzt.

Ab Freitag Abend gilt in den vier Landkreisen eine nächtliche Ausgangssperre für Ungeimpfte. Clubs, Discos und Festivals schließen dort. Frankfurt (Oder), Teltow-Fläming und Cottbus folgen in Kürze, wenn die Inzidenz dort drei Tage lang 750 übersteigt. Die härteste Regel in der neuen Eindämmungs-Verordnung, die seit Mittwoch in Brandenburg gilt.

Alle Weihnachtsmärkte mussten schließen. Ungeimpfte werden weitgehend ausgesperrt. Ab Montag hebt Brandenburg auch noch die Anwesenheitspflicht in den Schulen auf. Dann können die Eltern entscheiden, ob ihre Kinder ins Klassenzimmer gehen. Im Süden des Landes hat die Inzidenz der 10–14-Jährigen knapp 4000 (!) erreicht.

Covid-19-Erkrankungen in Berlin: Gemeldete Coronavirus-Fälle in Berlin (Hauptstadt) – Infografik

Besorgniserregend: Auch unter den besonders verwundbaren über 70-Jährigen liegt der 7-Tage-Wert schon bei 245. Auf den Covid-Stationen der Brandenburger Kliniken liegen 567 Patienten. Nur 114 Intensivbetten sind noch frei – auch für Unfallopfer und Herzinfarkte.

„Es wird langsam dramatisch“, sagt der Chef der Landeskrankenhausgesellschaft, Michael Jacob. Die Kliniken kämen an die kritische Grenze bei der Patientenversorgung. Jacob: „Ich rechne damit, dass der Katastrophenfall ausgerufen wird.“ In Brandenburg starben bereits 4058 Corona-Patienten. 3795 waren es in Berlin.

Warum hat das Virus im Nachbarland so leichtes Spiel?

Ein Grund ist das hohe Durchschnittsalter der Bevölkerung – vor allem in berlinfernen Regionen, wo die Jungen abgewandert sind. Doch die meisten Ursachen sind hausgemacht. In Brandenburg…

► wurde zuerst das Klinikpersonal geimpft, während Tausende Altenheimbewohner starben

► wählt jeder Fünfte die AfD, in der Lausitz örtlich bis zu 40 %. Die Rechtsextremen leugnen die Pandemie-Gefahr, lehnen Impfungen ab. Viele Anhänger auch

► ist die Impfbereitschaft gering. Nur 61,7 % haben den zweiten Piks (Berlin: 68,8 %)

► wurden alle Impfzentren im September geschlossen. Jetzt müssen Städte und Kreise neue einrichten. Impfärzte sind bis Januar ausgebucht. Folge: erst 13,4 % der Senioren haben die dritte Spritze (Berlin 30,8 %)

Wie groß ist die Gefahr, dass die Brandenburg-Welle nach Berlin überschwappt?

225.000 Menschen pendeln täglich aus dem Umland zur Arbeit in die Stadt. Viele weitere kommen zum Einkaufen oder zum Weihnachtsmarkt-Besuch. Noch sind sie offen. „Ich bin überzeugt“, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (60, SPD), „dass auch Berlin diese Regelung nachschärfen wird.“

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