Ehemaliger KZ-Wachmann jammert vor Gericht: „Das ist mir alles unbekannt“

Der ehemalige KZ-​Wachmann Josef S. (100) ​wird von seinem Anwalt zur Anklagebank in ​der Brandenburger Turnhalle geführt

Der ehemalige KZ-​Wachmann Josef S. (100) ​wird von seinem Anwalt zur Anklagebank in ​der Brandenburger Turnhalle geführt

Foto: Markus Schreiber/AP
Von: Matthias Lukaschewitsch

Gestützt von zwei Rettungssanitätern verlässt der 100-jährige KZ-Wachmann Josef S. am Donnerstag die Turnhalle im alten Industrieviertel von Brandenburg (Havel).

Der gebrechliche Greis soll für den Mord an KZ-Insassen mitverantwortlich sein. Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen wirft ihm die Anklage vor.​ Erst im Juni 2019 – da war Josef S. schon 98 – sind die Ermittlungen gegen ihn in Gang gekommen.

Nach zwei Stunden Verhandlung wird der greise Mordangeklagte von ​Sanitätern gestützt zum Krankenwagen gebracht​

Nach zwei Stunden Verhandlung wird der greise Mordangeklagte von ​Sanitätern gestützt zum Krankenwagen gebracht​

Foto: michael körner

Inzwischen ist der Wächter des Todes auf einen Rollator angewiesen. Er hört schwer, trägt beim Prozess Kopfhörer, damit er Richter und Staatsanwalt besser verstehen kann.​

Nur zweimal pro Woche darf gegen ihn in der zum Gerichtssaal umfunktionierten Halle verhandelt werden. Und auch bloß knapp zwei Stunden am Tag!​ Auch am Donnerstag beendete der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann um 12.15 Uhr den Prozess, der erst um 10 Uhr begonnen hatte.​

Aus Platzgründen wird der Prozess vor dem Landgericht Neuruppin​ in einer Sporthalle in Brandenburg (Havel) geführt

Aus Platzgründen wird der Prozess vor dem Landgericht Neuruppin​ in einer Sporthalle in Brandenburg (Havel) geführt

Foto: Mario Firyn

Zuvor hat Kommissarin Heike Trautmann (46) berichtet, dass in der Dienstzeit, die Josef S. Wachmann in Sachsenhausen war (vom 23. Oktober 1941 bis zum 18. Februar 1945), mehr als 10 000 namentlich bekannte Todesopfer verzeichnet sind: „Sie wurden vergast, erschossen oder starben infolge Unterernährung und mangelhafter Hygiene.“​

Aus Berichten und Notizen aus den wenigen Nazi-Unterlagen über die Todes- und Sterbefälle im KZ Sachsenhausen ergibt sich aber ein noch viel schlimmeres Bild. Die Brandenburger Polizistin: „Die Gesamtzahl der Opfer betrug nach unseren Ermittlungen 38 110 Insassen.“

Trautmann präsentierte dem Gericht eine Liste, auf der die Beamten die täglichen Tötungen notiert haben. Sie ist 14 Meter lang!​ Und davon will der ehemalige SS-Rottenführer nichts gewusst haben?

Auch am Freitag schüttelte Josef S. wieder den Kopf und jammerte: „Das ist mir alles unbekannt!“​ Die Kommissarin beharrt: „Die Wachkompanien haben von den Verbrennungen der Toten und den Vergasungen mitbekommen.“ Sie zitierte dafür drei überlebende Zeugen.

Der Holocaust-Überlebende Leon Schwarzbaum

Der Holocaust-Überlebende Leon Schwarzbaum

Foto: ANNEGRET HILSE/REUTERS

Einer von ihnen, Leon Schwarzbaum, sagte ihr: „Wissen Sie, der Tod war überall im Lager vorhanden, früher oder später musste man sterben, es gab keine andere Rettung.“​ Am Freitag wird ein weiterer Ermittlungsbeamter aussagen. Das Urteil wird im Januar erwartet.​ ​

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