Kannibalen-Prozess in Berlin: Verteidigung zweifelt „Sachkunde“ von Tsokos an

Stefan R. steht vor Gericht, weil er Stefan T. (kleines Foto) getötet haben soll

Stefan R. steht vor Gericht, weil er Stefan T. (kleines Foto) getötet haben soll

Foto: Olaf Wagner, Polizei Berlin
Von: Anne Losensky

Berlin – Der sogenannte „Kannibale von Pankow“ legt sich mit Deutschlands berühmtestem Rechtsmediziner an: Er zweifelt die Sachkunde von Professor Michael Tsokos (54) an!

Der deutschlandweit bekannte Chef der Charité-Rechtsmedizin muss deshalb am Dienstag noch einmal vor Gericht erscheinen. „Um sich mit diesen Vorwürfen auseinanderzusetzen“, so Richter Matthias Schertz.

Michael Tsokos (54), Chef der Charité-Rechtsmediziner

Michael Tsokos (54), Chef der Charité-Rechtsmediziner

Foto: Yunck

Die Staatsanwaltschaft wirft Lehrer Stefan R. (41) aus Pankow Sexualmord aus niedrigen Beweggründen vor. Er soll am 6. September 2020 den Hochleitungsbau-Monteur Stefan T. (44) aus Lichtenberg getötet haben.

Am 8. November 2020 fanden Spaziergänger im Buchholzer Graben/Ecke Schönerlinder Straße einen männlichen Oberschenkelknochen ohne Gewebe. Der Torso des Monteurs wurde am 23. November 2020 in einer Pankower Grünanlage gefunden. Mantrailer-Hunde führten zu der Wohnung des Lehrers für Mathematik und Chemie an einer Pankower Sekundarschule.

Der Angeklagte Stefan R. mit seinen beiden Verteidigerinnen

Der Angeklagte Stefan R. mit seinen beiden Verteidigerinnen

Foto: Olaf Wagner

Seit 18. November 2020 sitzt er in Untersuchungshaft. Ihm droht lebenslange Haft. Seit 10. August 2021 läuft am Landgericht der Mordprozess.

► Am 9. November sagte Prof. Tsokos aus. Er hat schon viele Bücher geschrieben (u.a. „Zerschunden“, „Zersetzt“, „Zerrissen“, „Zerbrochen“, „Die Klaviatur des Todes“). Sein Fazit im Fall des mutmaßlichen Kannibalen: „Wahrscheinliche Todesursache war ein massiver Blutverlust.“ Was für eine Verletzung großer Blutgefäße (Hals- oder Beckenschlagader) zu Lebzeiten spricht.

Der Lehrer behauptet dagegen, er habe seinen Sexpartner morgens reglos auf der Couch gefunden, lediglich die Leiche zerteilt und entsorgt.

Einen Tod durch die Einnahme von GHB (K.o.-Tropfen) zusammen mit Alkohol und Poppers schloss Prof. Tsokos in seiner Aussage vor Gericht aus. Das sei zwar „eine fatale Mischung“, aber GHB müsse der Mann erst kurz vor seinem Tod konsumiert haben. Es habe sich nur im Magen, nicht aber im Urin befunden, somit noch nicht im Blutkreislauf.

Deshalb halte er eine Bewusstseinseinschränkung beim Opfer für möglich, eine Handlungsunfähigkeit aber nicht. Das stützt die Mord-These der Anklage.

Aber die Verteidigerinnen bezweifeln diese Aussagen von Tsokos. Sie verlangen ein weiteres forensich-toxikologisches Gutachten zur GHB-Intoxikation.

Ermittler suchen im Nobember 2020 am Fundort eines Knochens in Berlin-Buch nach weiteren Spuren

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Foto: spreepicture

An den Leichenteilen waren „keinerlei Abwehrverletzungen“ laut Sektionsprotokoll. Die Verteidigung greift Tsokos’ Aussagen zur GHB-Intoxikation des Opfers an: „Öffentlich zugängliche internationale Fallstudien lassen Zweifel an seiner Sachkunde aufkommen“, heißt es dazu wörtlich in ihrem Antrag.

Diesem öffentlichen Angriff werde sich der Rechtsmediziner am kommenden Dienstag in der Hauptverhandlung stellen, kündigte Richter Matthias Schertz an.

Weiter am 16. November. Drei Tage später ist das Urteil geplant.

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