Erste Nacht mit bundesweiter Ausgangssperre: Straßen leergefegt wie bei einem WM-Finale

BILD-Reporter unterwegs in Berlin ++ Menschenleere Straßen auch in Stuttgart, Frankfurt, München und Köln ++ „Totentanz“ auf der Reeperbahn

In der Nacht zum Samstag herrscht am Breitscheidplatz gähnende Leere

In der Nacht zum Samstag herrscht am Breitscheidplatz gähnende Leere

Foto: Ufuk Ucta
Von: CELAL CAKAR und UFUK UCTA (Fotos)

Berlin – Um kurz vor Mitternacht ist die Situation auf Berlins Straßen ein wenig wie vor Silvester. Die Menschen wissen: In wenigen Augenblicken beginnt ein neues Kapitel. Doch es ist weder Silvester, noch gibt es etwas zu feiern. Um Mitternacht beginnt die Ausgangssperre in der Hauptstadt.

BILD war die ganze Nacht an den beliebtesten Orten Berlins.

► 00.20 Uhr am Ku’damm. Der kalte Wind ist ungemütlich. Die Straßen sind leergefegt. Aus der Ferne brüllt ein Obdachloser einen anderen Obdachlosen an. Am Currywurststand vor dem Bahnhof Zoo und beim Dönerverkäufer gegenüber holen sich einige Menschen noch etwas zu essen.

Ein paar Menschen holen sich noch was zu essen

Ein paar Menschen holen sich noch was zu essen

Foto: Ufuk Ucta

20 Meter weiter steht ein Mannschaftswagen der Polizei. Die Beamten kontrollieren aber gerade weder die Ausgangssperre noch Verstöße gegen andere Corona-Maßnahmen. Sie haben einen Mercedes-Fahrer angehalten.

Die Beamten kontrollieren einen jungen Mann. Anlass waren aber nicht die Corona-Regeln, sondern die Verabredung eines Tuner-Treffens

Die Beamten kontrollieren einen jungen Mann. Anlass waren aber nicht die Corona-Regeln, sondern die Verabredung eines Tuner-Treffens

Foto: Ufuk Ucta

Ein Beamter erzählt: „Hier gab es vorhin offenbar ein Tuner-Treff, zu dem sich mehrere Männer über Instagram verabredet haben. Wir hatten ihn schon einmal des Platzes verwiesen und jetzt hat er hier im Halteverbot angehalten.“

„Wir haben da auch ein Auge drauf, aber wie willst du das machen?“

Und was ist mit der Kontrolle der neuen Lockdown-Regeln?

Der Beamte: „Wir haben da auch ein Auge drauf, aber wie willst du das machen? Da hinten sitzen Obdachlose. Sollen wir die jetzt auch verscheuchen? Das kannst du gar nicht machen!“

Coronavirus-Fälle in Deutschland: Entwicklung der Covid-19-Erkrankungen in Deutschland 2020 – Infografik

Ein paar Hundert Meter weiter stehen Prostituierte an der Potsdamer Straße und bieten trotz Pandemie den wenigen, vorbeifahrenden Autofahrern ihre Dienste an. Das ist verboten, doch die Frauen haben scheinbar keine Alternative. Sie steigen ein und sind weg.

Prostituierte stehen an der Potsdamer Straße und bieten ihre Dienste an

Prostituierte stehen an der Potsdamer Straße und bieten ihre Dienste an

Foto: Ufuk Ucta

Damit in Berlin so wenige Autos unterwegs sind, braucht es sonst ein WM-Finale mit deutscher Beteiligung.

► Selbst am sonst für seine Kriminalität berüchtigten Kottbusser Tor herrscht Stille. Nur noch Junkies, Obdachlose und der 24/7 Obsthändler. Umgeben von exotischen Früchten fragt er die BILD-Reporter: „Gelten die neuen Regelungen nicht ab morgen?“ Kunden hat er keine.

Am Obststand am Kottbusser Tor ist wenig los

Am Obststand am Kottbusser Tor ist wenig los

Foto: Ufuk Ucta

Wie sonst auch zeigt die Polizei hier Präsenz. Doch auch hier werden die wenigen Passanten nicht angehalten. Es ist zu spüren, wie die Beamten die Verhältnismäßigkeit der Ausgangssperre infrage stellen.

Leere am Kottbusser Tor

Leere am Kottbusser Tor

Foto: Ufuk Ucta

„Wo fängst du an zu kontrollieren?“

Ein Polizist findet klare Worte: „Wo fängst du an zu kontrollieren? Vor fünf Monaten hätte diese Regelung schon in Kraft treten müssen. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, hier sind bald 20 Grad. Was meinen Sie, was dann los ist? Dann brennt hier der Baum.“

Und weiter: „Ich sehe mich jetzt schon in einer Lage, in der ich dann nicht sein möchte.“

Am Potsdamer Platz, ...

Am Potsdamer Platz ...

Foto: Ufuk Ucta
an der Warschauer Brücke, ...

... an der Warschauer Brücke ...

Foto: Ufuk Ucta

Vom Herrmannplatz zum Alexanderplatz. Vom Monbijoupark zum Berghain. Überall gähnende Leere. Auf der Warschauer Brücke, wo sonst Touristen für die Party-Nacht im RAW-Gelände vorglühen, laufen nur noch Einzelne herum. Immer wieder fahren Streifenwagen an ihnen vorbei.

am Alexanderplatz, ...

... am Alexanderplatz ...

Foto: Ufuk Ucta
und am Hermannplatz – überall das gleiche Bild: Es ist (fast) nichts los

und am Hermannplatz – überall das gleiche Bild: Es ist (fast) nichts los

Foto: Ufuk Ucta

„Es bringt alles nichts“

Zum Abschluss der Tour zurück am Zoologischen Garten in Berlin. An einem Kiosk trinkt eine Gruppe junger Männer ohne Abstand ihre Getränke. Das war übrigens auch vor dem Bundes-Lockdown verboten. Ihnen sind die Regeln inzwischen komplett egal.

Stefan (18) zu BILD: „Irgendwann reicht es doch mal. Es ist absolut unnötig. Was soll passieren, wenn wir uns hier im Freien treffen? Man kann doch auch vormittags Corona kriegen. Es bringt alles nichts.“

Diese Jungs sind trotz Ausgangssperre draußen

Diese Jungs sind trotz Ausgangssperre draußen

Foto: Ufuk Ucta

Sein Kumpel findet noch heftigere Worte: „Wir werden uns nicht an die Ausgangssperre halten. Wofür gibt es denn das Grundgesetz und die Freiheiten? Wir werden seit Monaten schon eingesperrt.“

Es ist die Stimme eines Einzelnen. Die Tour durch Berlin zeigt: Die Mehrheit der Berliner hält sich an die Ausgangssperre. Trotz Zweifeln, trotz Sehnsucht nach Normalität. Wie am Morgen nach Silvester geht auch am Samstagmorgen die Sonne wieder auf. Ein neuer Tag in einem neuen Corona-Kapitel.

Ben Becker bei BILD Live„Seid vernünftig und lieb!“

Quelle: BILD

Leere Straßen in ganz Deutschland

In den meisten deutschen Großstädten hatte die bundesweite Ausgangssperre keine besondere Bedeutung. Wegen hoher Fallzahlen gelten dort oft schon seit Wochen verschärfte Corona-Regeln.

In Hamburg etwa gilt bereits seit Karfreitag (2. April) eine Ausgangssperre ab 21 Uhr. Die wird, so Innensenator Andy Grote erst am vergangenen Dienstag, von fast allen Bürgern beachtet. Im beliebten Amüsierviertel rund um die Reeperbahn herrscht gespenstische Stille.

„Totentanz“ auf der Reeperbahn

„Totentanz“ auf der Reeperbahn

Foto: JOTO

Die Polizei würde nur eine sehr, sehr geringe Anzahl an Verstößen feststellen. Die Stadt sei ab 21 Uhr praktisch leer. Kontrollen fanden in der vergangenen Nacht wie auch in den Wochen zuvor statt.

Ein Polizeisprecher am Samstagmorgen zum Thema Ausgangssperre: „Es war eine ruhige Nacht.“

München

In München gilt bereits seit dem 14. April wieder die nächtliche Ausgangssperre, neu ist seit Freitag das Alkoholverbot am Wedekindplatz und am Gärtnerplatz.

Am Gärtnerplatz kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Zusammenkünften. Jetzt gilt ein Alkoholverbot

Am Gärtnerplatz kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Zusammenkünften. Jetzt gilt ein Alkoholverbot

Foto: Karl Keim

Die Polizei meldet jedoch keine größeren Verstöße von Freitag auf Samstag. „Bis auf ein paar wenige Verstöße gegen die Ausgangssperre und beispielsweise eine private Party mit 20 Personen, die aufgelöst wurde, gab es nichts Größeres zu melden“, so ein Sprecher. Auch an den großen Plätzen wie dem Gärtnerplatz war nichts los.

Stuttgart und Frankfurt

Auch im restlichen Süden gab es in der Nacht keine besonderen Vorkommnisse, so blieb es in Frankfurt ruhig und auch in Stuttgart wurde die Ausgangssperre eingehalten – weitestgehend.

Ein Polizeisprecher in der Schwaben-Metropole: „Wir haben in der Nacht auf Samstag circa 70 Leute erwischt, die sich nicht an die Ausgangssperre hielten. Sie werden angezeigt. Das geht seit einer Woche so. Je besser das Wetter, umso mehr drängen ins Freie.“

Sachsen

Im Freistaat gab es nach Auskunft des Innenministeriums punktuelle Bedarfskontrollen. Dabei gab es kaum relevante Feststellungen.

Ministeriumssprecherin Silvaine Reiche (46) zu BILD: „Die Menschen in Sachsen haben sich einem ersten Überblick zufolge offenbar weitestgehend an die Ausgangssperren gehalten. Nach Auskunft unseres Lagezentrums war es für die Polizistinnen und Polizisten im Freistaat sogar eine außergewöhnlich ruhige Nacht.“

Nordrhein-Westfalen

Auch in NRW liegt das Leben brach. „Für eine Freitagnacht war es sehr ruhig“, vermeldete etwa die Polizei in Wuppertal. Außer ein paar kleinen „Ansprachen“ an verbotene Nachtschwärmer habe es nichts Wildes gegeben.

In Düsseldorf treten die Regelungen erst ab Samstagabend 22 Uhr in Kraft, teilte ein Sprecher der Stadt am Samstag mit. Ab da begännen auch die Kontrollen.

In Köln (Inzidenzwert: 240) gilt die Ausgangssperre bereits seit einer Woche und beginnt jeden Abend schon um 21 statt 22 Uhr. Daran will OB Henriette Reker festhalten: „Die bedrohliche Lage in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen gibt eine Lockerung der Regelungen aktuell nicht her.“

Gähnende Leere auf Kölns Straßen. In der Stadt gilt die Ausgangssperre schon seit dem 17. April

Wenig los auf Kölns Straßen. In der Stadt gilt die Ausgangssperre schon seit dem 17. April

Foto: Federico Gambarini/dpa

Die Millionenstadt zeigt sich bislang sehr diszipliniert. „Der Ordnungsdienst hat in den vergangenen Tagen keine besonderen Vorkommnisse festgestellt“, sagte eine Kölner Stadtsprecherin am Samstag. Alles sei sehr ruhig. Gleiches teilt die Polizei in Bonn, Aachen, Duisburg und Dortmund mit.

In Bochum und Essen hatte die Polizei ein besonderes Augenmerk auf Einhaltung der Ausgangssperre, hieß es. Es habe aber keine Einsätze aufgrund von Verstößen gegen die neuen Regelungen gegeben.

BILD Kaufberater: Hier gibt es die besten Produkte im Test!