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Gesprächsreihe mit Künstlern : Europäische Perspektive auf rechten Terror

„Unzivilgesellschaft“: Was leisten Theaterstücke und Filme über rechte Gewalt? Eine Talk-Reihe sucht Antworten in ganz Europa.

Gesprächsreihe mit Künstlern : Europäische Perspektive auf rechten Terror

Szene aus dem Film „Der zweite Anschlag“. Betroffene von rassistisch motiviertem Terror haben sich zusammengeschlossen.Foto: Der zweite Anschlag

Der erste Anschlag war traumatisch, der zweite noch viel schlimmer. So erzählt es Ibrahim Arslan, der 1992 im Alter von sieben Jahren miterleben musste, wie sein Elternhaus in Mölln in Brand gesetzt wurde, wie Oma, Mutter und Schwester in den Flammen oder auf der Flucht davor zu Tode kamen.

Die Interviewszene stammt aus dem Dokumentarfilm „Der zweite Anschlag“, den die Filmemacherin Mala Reinhardt 2018 gedreht hat. Mit dem „zweiten Anschlag“ meint Arslan die Reaktion der Medien, der Justiz, von Politik und Öffentlichkeit, die nach dem rassistischen Brandanschlag auf seine Familie folgte: Denn was kam, waren Verdächtigungen, Empathielosigkeit, Ignoranz und eine verfehlte Erinnerungspolitik.

Die übrigens viele der Interviewpartnerinnen in Reinhardts Film beschreiben, ob in Mölln, Lichtenhagen oder in Hamburg nach dem Mord an Süleyman Taşköprü durch den NSU: Die Städte, deren Namen jeder kennt, zelebrieren an den Jahrestagen ihre Betroffenheit – und vergessen die Angehörigen der Opfer einzuladen, deren Namen kaum jemand kennt.

In einer vom Goethe Institut initiierten Gesprächsreihe wird derzeit mit Regisseurinnen und Künstlern diskutiert, wie Kulturschaffende rechte Gewalt verarbeiten: in Theaterstücken, Filmen und Installationen – und was das bringt. Können Filme und Bühnenstücke zur Aufarbeitung von rechtsextremistischen Anschlägen beitragen? Das Schweigen brechen, mehr Mitgefühl erzeugen?

Rechte Gewalt im Film

Beim ersten Termin der Reihe „Unzivilgesellschaft“ im April berichteten die Theatermacherinnen vom Black Box Theater in Oslo über ihr Stück „Ways of Seeing“, das den Rassismus in Frankreich und Norwegen unter die Lupe nimmt. Tuğsal Moğul stellte sein Recherchestück „Auch Deutsche unter den Opfern / Die NSU-Morde“ vor, das unter anderem in Mühlheim an der Ruhr auf die Bühne kam. Beim zweiten Termin in dieser Woche ging es nun um den Film.

Zu Gast im Online-Talk war neben Regisseurin Mala Reinhardt aus Deutschland der ungarische Filmemacher Bence Fliegauf. Fliegauf erzählt in dem Film „Csak a szél – Nur der Wind“ einen Tag im Leben einer ungarischen Roma-Familie, deren Nachbarn von Rechtsextremisten ermordet wurden.

Der Spielfilm bezieht sich auf eine reale neonazistische Mordserie an Roma in den Jahren 2008/09 in Ungarn. In einer Szene in Fliegaufs Film beobachtet man einen Jungen, der mehr zufällig in der Wohnung der ermordeten Romafamilie herumstreunt.

Er versteckt sich, als zwei Polizisten auftauchen, um den Tatort zu begutachten. Einer der Gesetzeshüter bedauert, dass hier die „falsche“ Roma-Familie umgebracht worden sei, eine ordentliche Familie nämlich, eine, die ein Badezimmer besitzt, die hart arbeitet. Um um die gehe es ja gar nicht, so der Polizist.

Welche Gegenstrategien bietet die Kunst?

Die Gesprächsreihe möchte rechten Terror auf gesamteuropäischer Ebene betrachten, nicht nur innerhalb Deutschlands. Beteiligt sind die Goethe Institute in Mailand, Oslo, Brüssel und Budapest, die fragen, was zu rechter Gewalt führt? Welcher Methoden bedienen sich die rechten Szenen in Europa? Welche künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Strategien gibt es, um dagegenzuhalten?

[Die Talks sind unter www.goethe.de/youtube nachzuhören.]

Eine Strategie, die die Filmemacher beschreiben, ist die des Perspektivwechsels. Beide stellen statt der Täter die Betroffenen ins Zentrum ihrer Filme. Mala Reinhardt lässt die Überlebenden von Gewalttaten in Mölln, Hamburg, Lichtenhagen und anderswo in Interviews zu Wort kommen, begleitet sie zu Initiativen, in denen sie sich überwiegend selbst helfen.

Bedrohung, ohne zu wissen durch wen und warum

Die Interviewten erzählen von ihren Traumata, wie sie sich organisieren, therapieren, politisch aktiv werden. Fast alle erwarten vom deutschen Staat und der Justiz nichts mehr, finden Heilung, wenn überhaupt, oft in kulturellen und sozialen Projekten.

Auch Bence Fliegauf gibt den Tätern kein Gesicht. Die Mörder sind in seinem Spielfilm nicht zu sehen.

Die Angehörigen der Romafamilie dienen als Identifikationsfiguren, die zwar spüren, dass sie verfolgt werden, aber nicht von wem oder warum.

Schon dass die ungarische Filmcrew sich in die Welt der Roma begab und die Roma mit den Filmemacher:innen zusammenarbeiteten, sieht Fliegauf als „Aktion gegen Rassismus“. Kunst kann helfen, ins Handeln zu kommen, das ist wohl eine der Antworten, wenn man fragt, was sie vermag.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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