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Gastkommentare: Pro und Contra : Wikileaks – Kämpfer für die Wahrheit oder Landesverräter?

Die Meinungen darüber, was Wikileaks ist und wie mit der Enthüllungsplattform umgegangen werden sollte, gehen auseinander. Hier das Pro und Contra zweier profilierter Gastkommentatoren.

Gastkommentare: Pro und Contra : Wikileaks - Kämpfer für die Wahrheit oder Landesverräter?

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Foto: dapd16.08.2012 14:48″Don’t shoot the messenger” – oder gehört Assange endlich nach Schweden ausgeliefert, um sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren…

Pro Wikileaks: Wahrheit entmachtet

Ende November machte Wikileaks das Innenleben der amerikanischen Diplomatie öffentlich. Politiker aller Länder vereinigten sich in Empörung. Die galt Wikileaks, nicht den USA.

Wikileaks, so hieß es damals und heißt es bis heute, habe das Vertrauen in die Diplomatie beschädigt. Wikileaks habe Menschenleben gefährdet und sei eine Gefahr für den Datenschutz. Doch hat Wikileaks nur die Wahrheit verbreitet. Wenn diese Wahrheit ärgerlich ist, dann sind dafür Staatsmänner und ihre Bediensteten verantwortlich. Wikileaks führt keinen Krieg im Jemen, ruft zu keinem Feldzug gegen den Iran auf und klatscht auch nicht über Politiker daher.

Wikileaks ist nicht Julian Assange. Wikileaks ist eine Idee. Sie befindet sich auf dem unaufhaltsamen Vormarsch. Einer Idee kann man keinen Prozess machen. Wer Wikileaks schließen will, der fängt Regentropfen ein, um etwas gegen das schlechte Wetter zu unternehmen. Doch es wird schon bald in Strömen regnen.

Die geistigen Grundlagen von Wikileaks legten in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Hacker der ersten Stunde. Sie dachten nach über die soziologischen und politischen Folgen der Informationstechnologie. Sie entwickelten eine Hackerethik. Die Hacker nahmen an, dass es bald zu einer Schieflage bei der Datenverfügbarkeit kommen würde. Der Staat würde versuchen, immer mehr über seine Bürger zu wissen, sie immer genauer zu kategorisieren und zu überwachen. Zugleich würde er aber seine eigenen internen Prozesse immer geschickter vor der kritischen Öffentlichkeit abschirmen. Weil Information Wissen ist und Wissen die Grundlage für erfolgreiches Handeln bietet, würde der Staat so mächtiger und die Bürger machtloser werden. Der Staat würde zunehmend sie kontrollieren, nicht umgekehrt. Die Grundidee einer freien Gesellschaft stände Kopf.

Die Hacker verpflichteten sich, diesen Prozess aufzuhalten und umzukehren. Sie würden die Privatsphäre der Bürger schützen und die Geheimnisse des Staates offenbaren. Ihr Hacken sollte das Wissensgefälle zwischen den staatlichen und privaten Datenströmen korrigieren.

Damals mutete diese Ethik der Hacker vielen Menschen seltsam an. Die zivil-ungehorsamen Computerfreaks wirkten wie fremde Kämpfer mit neuen Waffen gegen die Ankunft einer ungewissen Zukunft. Doch diese Zukunft hat begonnen. Ihre sicheren Zeichen heißen Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung, Fluggastdatenübermittlung, elektronische Personaldokumente, Websperren, automatische Kennzeichenerfassung und Gesichtserkennung an öffentliche Plätzen. Während die Freiheit der Menschen immer weiter eingeschränkt wird, wächst die Datenmacht des Staates. Gleichwohl beklagt er sich larmoyant, wenn auch ihm einmal ein paar Geheimnisse entrissen werden.

Das Projekt Wikileaks folgt der Hackerethik. Sein Gründer Julian Assange ist ein Hacker. Man hat ihm vorgeworfen, er habe unmoralisch gehandelt. Doch die Ethik der Hacker richtet sich gegen die Amoralität der Macht. Denn Hacker wissen: Die Wahrheit entmachtet. Aber sie nimmt die Macht nur dem, der sie auf Geheimnisse und Lügen gründet.

Die Ethik der „alten“ Hacker trifft heute, ein Vierteljahrhundert später, auf die technischen Möglichkeiten des modernen Internets. Es demokratisiert gleichsam das Hacken. Nach der Wikileaks-Idee kann jeder zur Offenlegung staatlicher Geheimnisse beitragen. Kein Staat wird diese Form des zivilen Ungehorsams in den Griff bekommen. Das Netz ist dezentral organisiert und ermöglicht Anonymität. Jede Information ist schneller kopiert, als sie gelöscht werden kann. Im Web bewegt sich die Wahrheit wie der Fisch im Wasser.

Das Jammern der Politik über die Aufdeckung ihrer eigenen Amoralität ist verlogen. Politik hat keinen begründbaren Anspruch auf Datenschutz. Den genießt nur der einzelne Mensch, zu dessen Persönlichkeitsrechten es gehört, Geheimnisse behalten zu dürfen.

Der Staat aber hat keine Persönlichkeit. Ihn trifft allein die Pflicht zu einer gemeinwohlorientierten und gerechten Politik. Wenn es um staatliche Daten geht, sollte genau das gelten, was für private Daten nicht gilt: Wer nichts zu verbergen hat, muss sich vor Transparenz nicht fürchten. Wissen ist keine Gefahr für die Demokratie. Desinformation aber wohl.

Das Leaking im Internet vergrößert die Transparenz der Politik. Das ist gut. Wenn Politik jederzeit damit rechnen muss, ihre dreckige bis graue Wäsche im Freien zu sehen, muss sie sich langfristig um weißere Wäsche bemühen. Welcher Bürger würde das bedauern?

Wolfgang Neskovic ist Ex-Bundesrichter, stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags und Justiziar der Fraktion Die Linke.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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