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Fußball-EM und das ZDF : Todesringen live

Helfer kämpften um Christian Eriksen, das ZDF ließ das Bild weiterlaufen. Unerträglich. Der Sender weist die Kritik zurück. Ein Kommentar und Reaktionen.

Fußball-EM und das ZDF : Todesringen live

Thomas Fuhrmann, Sportchef des ZDF, nimmt in der “sportstudio-Arena” auf dem ZDF-Gelände in Mainz-Lerchenberg an einem…Foto: Arne Dedert/dpa

Live-Fernsehen ist unkalkulierbar und kann gerade deshalb wunderbar unterhaltsam sein. Am Samstagabend geschah das Gegenteil: Die gewöhnliche Übertragung eines EM-Fußballspiels verwandelte sich von einer Sekunde zur anderen in realen Horror.

Auch das ZDF schien angesichts der Ereignisse in Schockstarre zu verfallen. Denn als die Helfer auf dem Spielfeld um das Leben des Dänen Christian Eriksen kämpften, ließ die Sendeleitung das Bild minutenlang einfach weiter laufen.

Eriksens Mannschaftskameraden bildeten einen Kreis um den am Boden liegenden Spieler, eine für alle sichtbare Schutzmauer gegen die millionenfachen Blicke von außen – ein Bild, das überdeutlich verkündete: Zeigt Respekt, schaut nicht hin, wenn dieser Mensch, unser Mitspieler, mit dem Tode ringt!

Dass jede und jeder Einzelne selbst abschalten oder den Kanal wechseln kann, dass der plötzliche Notfall überraschend kam, entbindet Programmverantwortliche nicht von der Pflicht, auf voyeuristische Versuchung zu verzichten.

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Das minutenlange Schweigen des Kommentators Béla Réthy war der bedrückenden Situation angemessen, auch wenn man sich einen Reporter gewünscht hätte, der seinen Arbeitgeber öffentlich zum Abbruch der Übertragung auffordert.

Der kam dann mit Verspätung doch, nach weiteren quälenden Minuten, in denen Moderator Jochen Breyer im Studio die undankbare Aufgabe zu meistern hatte, die Zeit mit einer sprachlosen Gesprächsrunde zu überbrücken, ehe die Sendeleitung eine Film-Konserve als Ersatzprogramm für das unterbrochene Spiel gefunden hatte.

Für passend erachtete man in Mainz eine Folge aus der Serie „Der Bergdoktor“. Klingt nach Kurzschluss oder Einfallslosigkeit, aber was wäre schon passend gewesen nach solch schrecklichen Szenen? Selten wirkten die bunten, lauten Werbespots und die fröhlich krähenden Mainzelmännchen unerträglicher als an diesem frühen Samstagabend.

ZDF-Sportchef verteidigt Vorgehen

ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann hat Kritik zurückgewiesen, nicht angemessen über den Zusammenbruch des dänischen Fußball-Stars beim EM-Spiel gegen Finnland berichtet zu haben. „Das ZDF ist mit dem tragischen Zwischenfall beim Spiel Dänemark-Finnland verantwortungsvoll umgegangen.

Béla Réthy hat einfühlsam aus dem Stadion reportiert, die Kollegen im Studio die richtigen Worte gefunden. Ich kann auch keine Kritik an der internationalen Regie der UEFA üben. Als sich das Ausmaß der schweren Verletzung abzeichnete, gab es keine Naheinstellungen oder andere unpassende Bilder“, sagte Fuhrmann der Deutschen Presse-Agentur.

[Mehr zum Thema: „In 90 Prozent der Fälle endet das tödlich“ – so blickt ein Kardiologe auf den Fall Eriksen (T+)]

Zuvor hatte Frank Überall als Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Kritik geübt. „Ich finde es unerträglich, dass bei der Live-Übertragung im Fernsehen lange Zeit die Reanimation des Fußballers gezeigt wurde.

Das ist unverantwortlich und widerspricht der journalistischen Ethik“, sagte Überall und fügte hinzu: „Journalismus darf nicht derart voyeuristisch sein. Das ZDF ist in der Pflicht, diese eklatante Fehlentscheidung aufzuarbeiten.“

Medienwissenschaftler widerspricht

Dem widersprach der Medienwissenschaftler Christoph Bertling. „Ich finde, von Voyeurismus kann man da nicht sprechen“, kommentierte der Dozent der Deutschen Sporthochschule Köln. „Das ist ein Schockzustand, auch für die Redaktion, sie muss da aus ihrer Routine raus. Sie muss umschalten vom Unterhaltungsmodus zur Krisenkommunikation.“

Fußball-EM und das ZDF : Todesringen live

Dänemarks Mannschaft bildet einen Sichtschutz für ihren Mitspieler Christian Eriksen.Foto: imago images/Ritzau Scanpix

Bertling pflichtete dem ZDF-Sportchef bei: „Grundsätzlich hat der Sender auch eine Dokumentationspflicht in der Situation. Man will ja wissen, was da passiert.“ Kritik übte der Medienwissenschaftler nur an einer späteren Zusammenfassung: „Da war eine Kameraeinstellung zu nah dran, das war handwerklich unsensibel.“

Ähnlich kommentierte Jana Wiske, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin von der Hochschule Ansbach. „Keiner kann sich auf so eine Schock-Situation vorbereiten. Umso bemerkenswerter ist es, wie empathisch und vor allem zurückhaltend das ZDF direkt nach den Geschehnissen berichtet hat“, sagte Wiske der dpa. „Ob nun intuitiv oder gewollt: Das Schweigen von Béla Réthy ist eine große Leistung. Nichts anderes hätte die Betroffenheit mehr zeigen können.“

Schock für Béla Réthy

Als Schock empfand die Situation auch ZDF-Reporter Béla Réthy. „Das war für mich emotional die bisher härteste Übertragung“, sagte der 64 Jahre alte TV-Journalist am Sonntag. Er sei anfangs weniger Reporter gewesen und mehr „ein Mensch, der mitempfindet“.

„Das war schon das negativste Gefühl, das ich je bei meiner Arbeit hatte“, sagte Réthy. Der seit Jahrzehnten bei großen Turnieren arbeitende Journalist war nach der Unterbrechung des Spiels und der Übertragung beim Wiederanpfiff wieder hinter dem Mikrofon. „Das war eine große Herausforderung, als es weitergehen sollte“, berichtete der ZDF-Mann. „Man muss mit jedem Wort aufpassen. Auf solche Situationen kann man sich nicht vorbereiten.“ Es war für Rethy „sehr kompliziert, über ein Fußballspiel sprechen zu müssen“.

Unpassend erschien einigen Zuschauern, dass das ZDF trotz des Zwischenfalls Werbung mit den Mainzelmännchen gezeigt hatte und als Überbrückung ausgerechnet den „Bergdoktor“. Dazu gab es in sozialen Netzwerken viele kritische Kommentare. Solche Ersatzprogramme werden vorher für den Fall von Unterbrechungen ausgesucht, unabhängig von der Ursache. Gezeigt werde in der Regel, was im Normalfall an jenem Sendeplatz laufe, teilte das ZDF mit. Außerdem hieß es: „Das ZDF ist nach dem Spielabbruch vorübergehend zum regulären Programmablauf zurückgekehrt, zu dem auch Werbung gehört.“

Regisseur sieht keinen Fehler

Der Regisseur des internationalen TV-Signals beim EM-Spiel zwischen Dänemark und Finnland hat sich gegen Kritik an angeblich unangemessenen Aufnahmen nach dem Zusammenbruch des Dänen Christian Eriksen gewehrt. „Wir haben die Trauer und die Verzweiflung der Menschen gezeigt, der Spieler, des Staffs und der Zuschauer“, sagte der Franzose Jean-Jacques Amsellem der „L’Equipe“: „Wir haben in diesem Moment größter Beunruhigung auch eine Einheit gespürt. Das musste übermittelt werden. Das nenne ich nicht Voyeurismus.“

Der Produzent der Sendung habe in ständigem Kontakt mit der UEFA gestanden. „Und die Anweisungen waren klar“, sagte Amsellem. „Uns wurde gesagt, dass wir keine Nahaufnahme von ihm und auch keine Herzmassage zeigen sollten. Aber dass es kein Problem sei, Emotionen zu zeigen.“

Daran habe sich die Regie gehalten. „Es gibt eine Zeitlupe der Szene, in der man wirklich sehr genau hätte sehen können, wie er fällt. Aber ich habe meinem Team sofort die Anweisung gegeben, nicht mehr auf ihn zu halten“, sagte der Regisseur: „Mit mehr als 30 Kameras im Stadion hätten wir ihn aus nächster Nähe zeigen können, aber das haben wir zu keinem Zeitpunkt getan.“

Kritik gab es auch in Großbritannien an der BBC-Übertragung, woraufhin der Sender reagierte: „Wir entschuldigen uns bei allen, die sich darüber aufgeregt haben, dass die Bilder ausgestrahlt wurden. Die Übertragung im Stadion wird von der UEFA als Gastgeber kontrolliert. Sobald das Spiel unterbrochen wurde, haben wir unsere Berichterstattung so schnell wie möglich abgeschaltet.“ Joachim Huber

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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