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Fluchtdrama „Borga“ im Kino : Von Accra nach Mannheim

York-Fabian Raabe und sein Hauptdarsteller Eugene Boateng erzählen in dem Geflüchtetendrama „Borga“ die Geschichte einer Ankunft mit Hindernissen.

Fluchtdrama „Borga“ im Kino : Von Accra nach Mannheim

Selfmade-Man mit falschem Pass.: Kojo (Eugene Boateng) will sich seinen Traum von einem besseren Leben erfüllen.Foto: Tobias von dem Borne

Kojo will nicht mehr. Er will nicht mehr das schwarze Schaf der Familie sein, nicht mehr hinter seinem älteren Bruder Kofi stehen. Er will eigentlich nur mit seinen Freunden Cola trinken und – und vor allem: nicht mehr in die Schule gehen. Warum auch? In seinem Viertel Agbogbloshie, der gigantischen Elektroschrotthalde in Ghanas Hauptstadt Accra, einem der giftigsten Orte der Erde, sieht der Junge keine Perspektive mehr.

Sein Vater Akwasi (der ghanaische Star Adjetey Anang) bildet seinen Bruder zum Statthalter des kleinen Recyclingbetriebs aus, das den Elektroschrott aus dem globalen Norden in seine Einzelteile zerlegt – und träumt von dem Haus, dass er eines Tages seiner Familie bauen wird. Kojo, gespielt von Eugene Boateng, soll in die Schule gehen, der aber eifert lieber den erfolgreichen Männern aus dem Viertel nach, die mit Geld um sich werfen und Macht ausstrahlen.

Ein „Borga“ will er sein, wie die gemachten Männer genannt werden, die ihre Flucht bis in den Hamburger Hafen geführt hat. Einer, der in die Fremde gegangen ist und reich zurückkehrt, Feste feiert und Häuser baut. Und dessen Fotos aus der neuen Heimat Geschichten von Aufstieg und Wohlstand erzählen.

Dass diese Geschichten mit Photoshop zusammengeschustert sind, muss Kojo allerdings nach seiner Ankunft in Deutschland schmerzlich lernen. Regisseur York-Fabian Raabe lässt in seinem mehrfach ausgezeichneten Regiedebüt „Borga“ die Fluchtgeschichte aus. Kojo kommt mit letzter Kraft und völlig mittellos im Hafen von Mannheim an. Hier nimmt ihn die afrikanische Community um die Barbetreiberin Choga (Thelma Buabeng) auf. Von seinen großspurigen Träumen ist schon bei seiner Ankunft wenig geblieben. Doch Kojo lässt sich nicht unterkriegen, er will es seiner Familie beweisen.

Es wäre leicht, „Borga“ lediglich als einen weiteren Film abzutun, der hinlänglich bekannte Afrika-Bilder noch einmal aufwärmt. York-Fabian Raabe hat die Geschichte zusammen mit seinem Hauptdarsteller Eugene Boateng entwickelt, ihre enge Zusammenarbeit verleiht dem Film Glaubwürdigkeit und vor allem Selbstbestimmtheit. Für seine eindringliche Darstellung Kojos erhielt der Düsseldorfer Schauspieler und Choreograf Boateng verdientermaßen den Max-Ophüls-Preis.

Seine Darstellung, insbesondere aber seine Mitarbeit verleihen „Borga“ eine Lebendigkeit. Dem schon fertigen Drehbuch von Raabe gab Boateng den letzten Schliff, er übersetzte es in Twi, der in Ghana am weitesten verbreiteten Sprache, ließ Erfahrungen und Geschichten seiner Familie einfließen und arbeitete mit den Schauspieler:innen in Ghana zusammen. „Ich habe immer gedacht, wir müssen mal so eine Geschichte erzählen“, erzählt Boateng im Gespräch, „Ich wollte immer die Geschichte meines Vaters aufschreiben. Und dann kam dieses Drehbuch und ich dachte: Das ist meine Chance.“

Die Bilder und Geschichten vom afrikanischen Kontinent werden im Westen noch immer dominiert von Klischees (zuletzt in dem deutschen Drama “Le Prince”) – und von unterschwelliger Abwertung. Zunächst glaubt man, dass auch „Borga“ in diese Falle geht. Raabe zeigt von Accra zunächst nur den Slum und die berüchtigte Elektroschrotthalde, er reproduziert die üblichen Bilder von staubigen Sandpisten und Wellblechhütten. Erst in der zweiten Hälfte kehrt Raabe diesen Blick um, taucht ein in das glitzernde, reiche, moderne Accra: die international vernetzte Stadt, in der Kojo nach seiner Rückkehr als erfolgreicher „Borga“ mit seinem Neffen in Einkaufscentern shoppt und die Familie mit Geschenken überhäuft.

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Geschenke, die sich später als vergiftet herausstellen, denn sie führen das Wohlstandsgefälle umso deutlicher vor Augen. Die gesteigerten Erwartungen in der Heimat führen zu der Annahme, dass Kojos Familie plötzlich reich sei. Sie zahlt die Preise eines echten „Borga“.

Mehr als nur ein weiteres Geflüchtetenschicksal

Raabes Film will viel, reißt dabei vieles eher an und reduziert das Geflüchtetenschicksal manchmal auch wieder nur auf Klischees wie Drogenhandel oder Kleinkriminalität. Doch es geht in „Borga“, anders als in anderen Filmen über Fluchterfahrungen, nicht in erster Linie um die Flucht selbst, die Gewalt, die Menschen wie Kojo in Europa erleben, um den Horror auf dem Mittelmeer und die Schlauchboote, das Leben im Schatten und gesellschaftlichen Rassismus. (Dieser Kern vieler Probleme, die Kojo in Deutschland widerfahren, hätte im Film etwas mehr Raum verdient.)

(In sieben Berliner Kinos, auch OmU)

Sie spielen in „Borga“ keine besondere Rolle, daher können sie bei Raabe und Boateng auch ungezeigt bleiben. Vielmehr geht es um falsche Vorstellungen des globalen Südens über den globalen Norden – die umgekehrt genauso gelten. Ghana, ist eben nicht nur das verarmte Land ohne Perspektiven. Und Deutschland auch nicht nur das Paradies, als dass es aus der Ferne erscheint. Ein wenig erinnert „Borga“ in diesem Punkt an Chimamanda Ngozi Adichies Roman „Americanah“, der ebenfalls von falschen Erwartungen, von Flucht und von Rückkehr erzählt.

Für Boateng ist Borga dabei vor allem eine Heldenreise: „Die Drogengeschichte und das Illegalsein, das sind Nebengeschichten. Wir erzählen die Geschichte von einem Menschen, der einen Traum hat. Und er tut alles für seinen Traum.” Letztendlich erzählen Raabe und Boateng mit „Borga“ ein allgemeingültiges Märchen für das globalisierte Zeitalter. Solche Märchen haben es nun mal so an sich, dass sie mit einer schlichten Moral enden. Die Stärke ihres Films besteht bei allen kleinen Fehlern darin, die Geschichte eines Reisenden radikal selbstbestimmt aus der Perspektive des Geflüchteten zu erzählen – und ihn nicht bloß als Objekt zu behandeln. „Es ist wirklich ein Film, bei dem sich jeder Mensch mit dieser Figur und dieser Geschichte identifizieren kann“, meint Boateng. „Es sollte genau das nicht werden: ein Film von einem Weißen über Afrikaner. Ich sage immer: Es ist ein Film von uns, für uns.”

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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