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Erweiterung um die Ukraine und den Westbalkan : Die EU riskiert politischen Selbstmord

Mehr als 30 Mitglieder mit Vetorecht führen zur permanenten Blockade. Vor Neuaufnahmen müssen Mehrheitsentscheidungen zur Regel werden. Ein Kommentar.

Erweiterung um die Ukraine und den Westbalkan : Die EU riskiert politischen Selbstmord

EU-Perspektive als Hintergrund, nationale Flaggen im Zentrum: Vier europäische Staats- und Regierungschef zu Besuch beim…Foto: Ludovic Marin/Pool viaREUTERS

Die EU will zu einer Weltmacht auf Augenhöhe mit globalen Schwergewichten wie China und den USA werden. Dabei kann sie heute nicht einmal einer aggressiven Regionalmacht wie Russland Paroli bieten.

Das größte Hindernis ist der Unwille der Brüsseler Institutionen und der EU-Mitglieder, die inneren Schwächen und Konstruktionsfehler einzugestehen und harte Prioritäten zu setzen, um sie zu überwinden. Diese inneren Widersprüche brechen beim EU-Gipfel auf – bei den Vorentscheidungen über Beitrittsverfahren für die Ukraine und die Westbalkan-Staaten.

Die nüchterne Realität ist: Nimmt die EU weitere Mitglieder auf, ohne zuvor den Zwang zur Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen abzuschaffen, begeht sie politischen Selbstmord. Jedes der dann mehr als 30 Mitglieder hätte ein Vetorecht; das führt zu permanenter Blockade der EU.

Schlimmer noch: Mit einer Erweiterung ohne vorherige Reform der Entscheidungsmechanismen gibt die EU China, Russland und anderen geostrategischen Rivalen ein indirektes Vetorecht in der EU.

China und Russland bekommen eine Stimme in der EU

Die arbeiten längst daran, aktuelle und künftige EU-Mitglieder für sich zu instrumentalisieren. Ungarn blockiert das Öl-Embargo der EU und erzwingt, dass der russische Patriarch Kirill, ein Kriegstreiber an Wladimir Putins Seite, von den Sanktionen ausgenommen wird.

Erweiterung um die Ukraine und den Westbalkan : Die EU riskiert politischen Selbstmord

Die Westbalkanstaaten fühlen sich durch die Empathie mit der Ukraine zurückgesetzt. Doch ihre längere Wartezeit spricht nicht…Foto: Michael Kappeler/dpa

EU-Kandidat Serbien steht im Ukrainekrieg an Moskaus Seite. EU-Kandidat Montenegro ist wirtschaftlich abhängig von China. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die gefährlichste Selbstschwächung hat sich die EU immerhin erspart: die Aufnahme der Türkei. Was brächte die EU überhaupt noch zustande, wenn ein Recep Tayyip Erdogan mit Vetorecht am Tisch säße?

Gewiss, der EU-Gipfel stimmt nicht über die Aufnahme der Wackelkandidaten ab, sondern nur über die Einleitung von Beitrittsgesprächen. Die Verhandlungen, argumentieren die Befürworter, haben das Ziel, die Kandidaten beitrittsfähig zu machen.

Wer traut der Zusage: erst EU-Reform, dann Erweiterung?

Auch zur Aufnahmefähigkeit der EU wird Beruhigendes verbreitet: keine Erweiterung ohne vorherige innere Reform der EU. Das sagt auch Kanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung.
Aber: Wie glaubwürdig ist das? Ähnliches hatte die EU vor der jüngsten großen Erweiterung 2004 um zehn Staaten im Osten und Süden versprochen. Der Verfassungsvertrag, der die Voraussetzungen schaffen sollte, scheiterte in Volksabstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich.

Unaufschiebbare praktische Fragen – wer bekommt wie viele Sitze im Parlament, wie viele Mitglieder hat die EU-Kommission und Ähnliches – wurden in einer Notoperation geklärt. Die grundlegende Reform der EU blieb aus.

Wird schon gut gehen: So blauäugig peilt die EU die nächste Erweiterung um den Westbalkan und die Ukraine an. Öffentlich wird mit Argumenten dafür geworben, die bei näherem Hinsehen dagegen sprechen.

Drei Pro-Argumente, die in Wahrheit Contra-Argumente sind

Drei Beispiele für die Umkehrung von Pro und Contra: Die Ukraine verdiene diese Perspektive, weil sie im Krieg sei und für Europas Werte kämpfe. Es verhält sich umgekehrt: Die EU nimmt keine Länder mit ungelösten Konflikten auf. Empathie mit dem Kriegsopfer ist kein Beitrittskriterium.

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Zweitens führen die Balkanstaaten zu ihren Gunsten an, dass sie viel länger warten als die Ukraine. Auch das spricht nicht für, sondern gegen sie. Zu den Hauptgründen, warum sie so lange warten, zählt, dass sie die nötigen Reformen verschleppen.

Drittens heißt es, die Aufnahme sei wichtig, um Chinas Einfluss auf dem Balkan zu verringern. Doch eine EU, die sich durch Erweiterung ohne Abschaffung des Vetorechts blockiert, nützt weder der EU noch dem Balkan. China würde noch gestärkt.

Die Sonnenschein-Union muss sich auf schwere Unwetter umstellen

Die heutige EU ist eine Sonnenschein-Union. Sie funktioniert, wenn alle freiwillig kooperieren. Bei Unwettern – Eurokrise, Verstöße gegen den Rechtsstaat, Migration und Asyl – zeigt sich, dass der rettende Schirm fehlt. Sie ist nicht in der Lage, die Vertragspflichten durchzusetzen.
Die Welt wird konfliktreicher. Europa hat keine Zukunft, wenn die EU politischen Selbstmord begeht. Ja zur Erweiterung, aber erst, wenn Mehrheitsentscheidungen in der EU die Regel sind.

Diese Reform ist nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Viele Mitglieder scheuen sich, ihr Vetorecht aufzugeben. Sie wollen nicht riskieren, in Belangen von hohem nationalen Interesse überstimmt zu werden. Auch Deutschland zögert.

Dieses Risiko ist in der Realität sehr begrenzt. In den wesentlichen Belangen haben EU-Mitglieder sehr ähnliche Interessen. In erster Linie würden dem Egoismus, zusätzlich zum Gemeinschaftsinteresse noch Sonderinteressen durchzusetzen, die der Gemeinschaft schaden, Grenzen gezogen.

Wie sich die Knoten lösen lassen

Zudem sind gerade die Länder, die ihr Vetorecht besonders schätzen und nutzen – zum Beispiel Polen und andere im Osten -, zugleich die energischsten Befürworter der Erweiterung um die Ukraine und den Westbalkan. Das erhöht die Chancen auf eine Reform. Die Erweiterung kann für sie der Gewinn sein, der sie den Verlust des Vetorechts verschmerzen lässt.

Auch die Konkurrenz zwischen der Ukraine und dem Westbalkan, wer früher beitreten kann, lässt sich ins Konstruktive wenden: die Länder, die sich am schnellsten und konsequentesten modernisieren, die Korruption bekämpfen und die Zweifel am Rechtsstaat überwinden. Auf in den Wettbewerb!

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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