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Dreikampf um Merkel-Nachfolge : „Frau Baerbock, eine Bewerbungsrede war das nicht“

Die wohl letzte Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel wird verdrängt vom Schaulaufen ihrer potenziellen Nachfolger. Überzeugen sie?

Dreikampf um Merkel-Nachfolge : „Frau Baerbock, eine Bewerbungsrede war das nicht“

Kanzlerin Angela Merkel, Armin Laschet und Annalena Baerbock begrüßen sich.Foto: AFP

Christian Lindner ist es, der die Verhältnisse hier klärt. Es ist ein Schauspiel, das der Bundestag so noch nie erlebt hat. Aber zunächst blickt der FDP-Chef zurück, sehr konziliant: „Eines kann ich heute sagen, Sie haben in den vergangenen 16 Jahren Ihre Kraft und ihre intellektuellen Gaben stets uneigennützig in den Dienst Europas und Deutschlands gestellt. Damit haben Sie sich große Verdienste erworben.“ Über die Fehler hätten Historiker zu urteilen.

Gemeint ist Angela Merkel, die zuvor hier ihre wohl letzte, 19 Minuten lange Regierungserklärung gehalten hat, zum EU-Gipfel, der sich vor allem mit der Bewältigung der Corona-Krise beschäftigt. Beäugt von allen Aspiranten auf ihre Nachfolge, die alle nach ihr reden an diesem Tag. Und so meint Lindner, das sei eigentlich keine Debatte über die Gegenwart und Vergangenheit, sondern eine über die Zukunft, wer wie das Land führen will – und wer sich wie zu den EU-Streitthemen Finanzen, Migration und Klima positioniert.

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Die Kanzlerin wirkt da fast schon wie Geschichte. Denn es kommt an diesem Tag zu einem überraschenden Triell ihrer potentiellen Nachfolger im Bundestag, das war so gekommen: Als erstes hatte sich Armin Laschet als Redner angemeldet, der Kanzlerkandidat der Union reiste aus Düsseldorf an, um als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident von seinem Rederecht als Vertreter des Bundesrats Gebrauch zu machen.

Auch die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, ließ sich auf die Rednerliste setzen. Das brachte SPD-Kandidat Olaf Scholz in die Bredouille. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass bei einer Regierungserklärung der Kanzlerin, zumal ihrer wohl letzten, kein weiteres Regierungsmitglied redet. Vizekanzler und Finanzminister Scholz, der nicht Mitglied des Bundestags ist, „lieh“ sich kurzerhand Redezeit von der SPD-Fraktion, um auch reden zu können.

Dreikampf um Merkel-Nachfolge : „Frau Baerbock, eine Bewerbungsrede war das nicht“

FDP-Chef Christian Lindner mahnt Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet vor einer EU-Schuldenunion. Foto: AFP.Foto: AFP

Und es werden deutliche Unterschiede sichtbar, auch zwischen Merkel und Laschet. Lindner wirft Scholz und der SPD vor, das Schuldenmachen auch in Europa „zur neuen Staatsphilosophie zu verklären.“

Und im Stille eines Triell-Moderators will er vor Laschet wissen, ob er nach dem Beschluss für Corona-Wiederaufbauhilfen in Höhe von 750 Milliarden Euro und der der erstmaligen gemeinsamen Kreditaufnahme den Weg in eine dauerhafte Schuldenunion bestreiten will. Laschet müsse erklären, ob er eher einer „mediterranen Fiskalpolitik“ zuneige oder dem strengen Kurs der „sparsamen Vier“ – Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden.

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Aber Lindner, der insgeheim hofft, dass es sogar für eine schwarz-gelbe Koalition reichen könnte nach der Wahl am 26. September, muss in dieser Frage einige Minuten später eher unbequeme Wahrheiten von Laschet verkraften, wenngleich auch er klar ein Bekenntnis zu Europa abgibt, aber halt mit strikter Ausgabendisziplin. Lindner zitiert Hans-Dietrich Genscher: “Europa ist unsere Zukunft, wir haben keine andere.”

Plötzlich wird ihm der Hof gemacht

Laschet hat bis dahin schon interessante Begegnungen gemacht. Er sitzt auf der Bundesratsbank auf dem Sessel, auf dem am 13. April Markus Söder saß. Beide waren damals zu Gast in der Unions-Fraktion. Die Sitzung fand wegen Corona im Plenarsaal des Bundestags statt – es wurde ein denkwürdiges Duell um die Kanzlerkandidatur der Union. Als Söder den Saal betrat, scharrten sich seine Unterstützer um ihn, Laschet wirkte auf verlorenem Posten. Doch er bewies seine Steherqualitäten.

Nun wird ihm der Hof gemacht. Die Kanzlerin kommt um kurz vor neun rüber, Laschet macht die Corona-Faust. Dann schlendert von links Baerbock in den Saal, rotes Kleid, schwarze Lederjacke, und grüßt Merkel und Laschet per Faust. Auch Lindner begrüßt ihn, ebenso scharen sich weitere Unions-Politiker um ihn. Olaf Scholz sitzt etwas verloren auf der anderen Seite auf der Regierungsbank.

Dreikampf um Merkel-Nachfolge : „Frau Baerbock, eine Bewerbungsrede war das nicht“

Es war wohl Merkels letzte Regierungserklärung – sie befasste sich mit dem EU-Gipfel.Foto: REUTERS

Seine letzte Bundestagsrede hat Laschet am 29. April 1998 in Bonn gehalten, damals als Bundestagsabgeordneter, zu einem interfraktionellen Antrag „Zur Zukunft der EU-AKP-Zusammenarbeit im neuen Jahrtausend“, dabei ging es um die Zusammenarbeit mit 71 Entwicklungsländern Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums.

Laschet überrascht hier einer leidenschaftlichen Rede, er sei „on fire“, wird es reihenweise von Unions-Leuten kommentiert. Während neben Lindner auch Scholz und Baerbock Merkels Leistungen an diesem Tag loben, kommt dazu von Laschet aber: nichts.

Laschet “on fire”

Er ist bemüht, sich nicht als männliche Fortsetzung Merkels darzustellen, versucht, das was man für Europa tut, in einen größeren Kontext einzuordnen, zumal die Welt sich gerade wieder in einem dramatischen Wandel befinde. Und beginnt so: „Meine Damen und Herren, heute ist der 24. Juni.” Höhnisches Raunen aus der Grünen -und SPD-Fraktion. Laschet setzt fort: „An diesem Tag begann die Blockade Berlins.“ Er leitet davon ab, wenn Demokratien zusammenarbeiten sei vieles möglich, dann könnten auch solche Bedrohungen und Krisen überwunden werden.

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„Wir brauchen Europa mehr als je zuvor. Wir stehen an einem Epochenwechsel.“ Und wo Merkel zuvor in ihrer letzten Regierungserklärung pflichtschuldig die Ziele des EU-Gipfels referierte, aber auch neue Anstrengungen für einen gemeinsamen EU-Umgang mit Russland sowie die Fortsetzung des EU-Türkei-Abkommens zur Aufnahme von Flüchtlingen ankündigte, setzt Laschet auf Emotion – für eine erste Bilanz hatte Merkel tags zuvor schon die Regierungsbefragung genutzt.

Und wo Merkel die AfD am liebsten ignoriert, fährt Laschet mit dem rechten Arm auf und ab, sticht mit dem Zeigefinger in die Luft, er zeigt, was er unter dem Bekämpfen der AfD versteht,, geht sie frontal an. „Sie schaden deutschen Interessen, das ist das was sie anstellen mit ihrer Politik und ihrem Gebrüll“. Der Nationalstaat allein sei heute viel zu schwach.

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Annalena Baerbock will, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird.Foto: imago images/Future Image

Und er ist Lindner ja noch eine Antwort schuldig: Er sei nicht sicher, ob der Weg der sparsamen Vier der richtige sei. Und mediterrane Finanzpolitik sei für ihn keine Kategorie. Es brauche weniger den Taschenrechner, sondern mehr „Vision“. Laschet sieht sich ganz der Tradition Helmut Kohls verpflichtet, mehr Europa zu wagen, auch wenn es viel kosten kann. Merkel dagegen war da zurückhaltender.

Baerbock sieht ein “Fenster of Opportunity”

Das ist gar nicht so weit entfernt von Olaf Scholz. Richtig lebendig wird es auch bei Annalena Baerbock, die erst als letzte der Kanzler-Aspiranten ran darf, oft wird vergessen, dass die Grünen im aktuellen Bundestag die kleinste Oppositionspartei sind, danach richtet sich die Redeordnung.

“Ich möchte an dieser Stelle sagen: Sehr viele Menschen in diesem Land sind dankbar dafür, dass Sie in Krisensituationen in den letzten 16 Jahren dieses Europa zusammengehalten haben – gerade auch gegen große Widerstände aus Ihrer eigenen Fraktion und vor allen Dingen von Ihrer Schwesterpartei”, sagt die zuletzt etwas abgestürzte Grünen-Hoffnungsträgerin in Richtung Merkels.

Sie stellt den „Green Deal“ für Europa in den Fokus und betont nach den Angriffen auf ihre Aussagen zu höheren Spritpreisen, dass man „klimagerechten“ Wohlstand wolle, was immer das heißen mag.

Und betont, es gehe hier nicht um Bewerbungsreden, sondern um einen neuen Aufbruch. „Wir brauchen eine Bundesregierung, die europäisch, solidarisch und klimagerecht denkt.“ Europa könne es schaffen, der erste klimaneutrale Kontinent der Welt zu werden. „Wir haben ein Fenster of Opportunity.“ Lautes Oooh aus der Unions-Fraktion. Als danach der frühere Agrarminister Christian Schmidt (CSU) zu seiner letzten Rede im Bundestag an das Pult tritt, meint er trocken: „Frau Baerbock, ich kann Sie von einer Sorge befreien: Eine Bewerbungsrede war das nicht.“ Die Union ist schon deutlich im Wahlkampfmodus und triezt die Grünen kräftig.

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SPD-Kanzlerkandidat und Vizekanzler Olaf Scholz im Gespräch mit Angela Merkel.Foto: AFP

Schulz stiehlt Scholz ungewollt die Show

Scholz hat zuvor in seiner Rede zunächst eine Botschaft, die intern wieder Grummeln auslösen dürfte, ihm wird immer wieder eine zu starke Merkel-Nähe unterstellt. Aber er ist ein höflicher Mensch und betont eingangs: “Das ist für mich ein besonderer Anlass, auch einmal eine Botschaft loszuwerden: Ich möchte mich bei der Bundeskanzlerin für die Zusammenarbeit in der Europapolitik in den letzten vier Jahren bedanken. Wir haben viele Fortschritte für Europa erreicht. Das ist nicht selbstverständlich gewesen, und ich glaube, das ist gut für Deutschland und für Europa.”

Inhaltlich spricht er sich offen für eine neue Ostpolitik aus, “um insbesondere mit Russland „eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln“. Aber er hat es am schwersten, einen Aufbruch zu vermitteln, sein Problem lautet an diesem Tag Schulz, Martin Schulz. Es ist auch für seinen Vorgänger als Kanzlerkandidat die letzte Rede im Bundestag – und dadurch wird – von Schulz ungewollt – der Kontrast zu Scholz illustriert. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa, er vergisst nicht seinen Anteil am Europa-Kapitel des Koalitionsvertrags.

Zugleich legt er dem Finanzminister und Vizekanzler Scholz indirekt nahe, seine Erfolge besser zu verkaufen. Er ist es, der den G7-Finanzminister-Durchbruch für eine globale Mindestbesteuerung besonders betont: Apple, Google und Co. würden in Zukunft endlich Steuern zahlen, auch in Deutschland.

Dieser Erfolg trage “die Handschrift des Bundesfinanzministers der Bundesrepublik Deutschland, Olaf Scholz”.

Und Schulz fordert alle künftigen, der liberalen Demokratie verpflichteten Abgeordneten dieses Hauses auf, weiter “eine Brandmauer gegen den Hass errichten und dass die Grenze des Sagbaren nicht jeden Tag weiter verschoben wird”. Er bekommt stehenden Applaus von den SPD-Abgeordneten. Dann kommt Frauke Petry. Die fraktionslose frühere AfD-Chefin ist die einzige, die gar keinen Applaus bekommt, es ist ein bitterer Abschied vom Bundestag. Merkel ist da schon weg, los zum EU-Gipfel nach Brüssel.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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