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Die Welt schaut dem Leiden zu : Vermittelt endlich in Myanmar!

In Myanmar eskaliert am „Tag der Streitkräfte“ die Gewalt gegen Demonstranten. Die Militärjunta geht weiter unerbittlich gegen Proteste vor.

Die Welt schaut dem Leiden zu : Vermittelt endlich in Myanmar!

Protest gegen die Militärjunta Myanmars in YangonFoto: Reuters/Stringer

Angel – welch klangvoller Name. Ihren echten Namen können die meisten Menschen kaum aussprechen. Ma Kyal Sin wollte leben. Frei leben. Dafür demonstrierte sie. Friedlich. Gegen die Generäle, die am 1. Februar Myanmar wieder in eine Diktatur gestürzt haben. Ihren Optimismus trug Angel auf ihrem Shirt: „Everything will be OK“. Am 3. März mahnte die 19-Jährige in Mandalay ihre Freunde, runter mit euch! Keiner dürfe sterben. Dann traf sie ein Schuss. Von Soldaten in den Kopf, so erzählten es ihre Freunde mehreren Medien. So legen es Bilder in sozialen Netzwerken nahe. Das Militär beschuldigt die Demonstranten.

Täglich fallen seltsam dreigeteilte Aufnahmen des verzweifelten Protests aus Südostasien über unsere Bildschirme auf Sofas in Wohnzimmern, Küchen- und Bürotische, in Ministerien und Abgeordnetenbüros, im Bundestag und der EU. Als wäre es ein Streamingdienst zum täglichen Terror, ein ganz normales Reality-Format bei Netflix. Alle gucken zu.

Verstört. Empört. Gelangweilt.

Und dann weiter zum nächsten Call, zum nächsten Stream. RKI-Chef Wieler hat neue Corona-Zahlen. Schauder. Der echte und der „gefühlte“ Gesundheitsminister, Jens Spahn und Karl Lauterbach, fordern strengere Maßnahmen, es gibt zu wenig Impfstoff, keine Teststrategien. Schauder. Empörung. Wut. Die Kanzlerin bittet um Verzeihung für eine unsinnige Osterruheidee. Schauder. Entsetzen. Fassungslosigkeit. Ärger. Wir haben es schlecht.

Wer will sich da merken, wie viele Demonstranten wieder in Myanmar getötet wurden? Wie viele Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer nachts aus Wohnungen entführt oder dort erschossen und rasch abtransportiert werden, damit es nur keine Märtyrer gibt? Die Nachrichten nennen Zahlen der Gefangenenhilfsorganisation AAPP, kaum eine bleibt hängen. Bis Freitag waren es 328 Tote und fast 3070 Menschen, die gefangen, gefoltert, verschleppt, verurteilt wurden. Tendenz steigend. Unter den Toten ist demnach auch eine Siebenjährige, die daheim auf dem Schoß des Vaters saß.

Das öffentliche Leben ist lahmgelegt

Trotzdem geben viele, so wie Angel, nicht auf. Sie riskieren ihr Leben. Sie protestieren am Weltkulturerbe von Bagan, an der Sule-Pagode in Yangon und Orten, von denen bisher kaum jemand gehört hat. Studierende, Ingenieure, Mediziner, Verkäufer, Bankpersonal, Lehrer protestieren. Obwohl nachts das Internet abgestellt wird, damit sie sich nicht vernetzen. Sie gehen vor Sonnenaufgang mit Kerzen los, gehen nicht zur Arbeit. Am Tag des „Silent Strike“ waren die Städte gespenstisch leer, wie Augenzeugen dem Tagesspiegel berichteten.

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Das Militär droht immer schärfer, denn das öffentliche Leben ist weitgehend lahmgelegt. Die Junta bestellte Ladeninhaber ein, hielt sie über Nacht fest, drohte mit Entlassungen und anderen Konsequenzen, sollten sie nicht öffnen. Bargeld gibt es kaum noch, Überweisungen sind fast unmöglich. Private Banken haben geschlossen, auch ihnen wird gedroht. Ein paar Filialen und Automaten sind wieder offen. Einige Manager haben gekündigt, andere tauchten unter. Das macht auch den Generälen zu schaffen. Anders als anderswo habe Myanmars Militär kein eigenes Kommunikationsnetz, sagen Insider.

Inzwischen haben Soldaten Barrikaden an Hauptstraßen geräumt, Protestierende werden in Seitenstraßen gedrängt. Drohnen kreisen, Soldaten verfolgen sie in Häuser, wo Fremde sie verstecken oder durchschleusen. Sie schießen auch auf Journalisten, wie am Donnerstag Naw Betty Han von „Frontier Myanmar“ berichtete. Der Protest endet nicht. Am Freitag legten Demonstranten in Yangon mit Zement gefüllte Bauarbeiterhelme auf der Straße, damit sich nicht so viele Menschen in Gefahr bringen.

Andere bleiben aus Angst daheim. Viele erinnern sich daran, wie brutal Soldaten 1988 und 2007 Demonstrationen niederschlugen. Sie wissen, wie egal den Generälen und ihren Schergen die eigenen Bürger sind. Nach dem Zyklon Nargis 2008 dürften internationale Helfer wochenlang nicht ins Irrawaddy-Delta, wo rund 140.000 Menschen starben und Tausende ihre Hütten verloren. Die Solidarität der Zivilisten verhinderte Schlimmeres. Die Junta gaukelte Botschaftern vor, sie helfe vorbildlich. Nach einem solchen Showtermin, sammelten Soldaten die Hilfsgüter wieder ein. Für diesen Samstag, den „Tag der Streitkräfte“, fürchteten viel das Schlimmste.

Es droht ein Bürgerkrieg

Nicht zuletzt, weil Verfolgte Schutz bei Rebellen der Karen und Kachin gesucht haben. In Myanmar kämpfen immer noch einige der 135 anerkannten Ethnien bewaffnet für Unabhängigkeit oder wenigstens föderale Macht. Beobachter erzählen, Demonstranten basteln sich Feuerwerkskörper oder Waffen. „Selbst wenn es nur ein Feuerzeug wäre, das sie halten, das Militär wird schießen“, sagt ein Augenzeuge, der unerkannt bleiben muss.

Das Land wird nur Ruhe finden, wenn alle Ethnien mitgenommen werden. Eine geleakte Tagesordnung der Schattenregierung, die jetzt als Vertreter der gewählten Regierung – der unter Hausarrest stehenden Aung San Suu Kyi – agiert, nennt die Rohingya weiter „Bengali“. Die Mehrheit der Birmanen sieht die Muslime nicht als Teil der Bevölkerung. Fast eine Million von ihnen ist nach Bangladesch geflohen. Die UN sprachen von Genozid, auch Suu Kyi verteidigte die Rohingya nicht.

Werden die bewaffneten Rebellen mit den Demonstranten ihre Kräfte bündeln? Friedlich oder mit Gewalt? Kommt es zum Bürgerkrieg? Das kann niemand wollen. Wird Krieg geführt, wird es bitter für mehr als die 55 Millionen Myanmarer. Viele werden in Nachbarländer flüchten. Die Drogenmafia wird blendend verdienen, Generäle werden sich mit Blut-Edelsteinen und Rohstoffen ihren Wohlstand sichern. Und der Failed State wird Hafen für Terroristen – die auch in Europa und Deutschland ihre Ziele suchen.

In Myanmar streiten sie gerade für eine andere Demokratie als die in Deutschland. Sie kennen viele Freiheiten im Vergleich zur Zeit vor der „disziplinierten Demokratie“. Aber selbst wenn die Generäle 2022 wählen lassen würden: Die Verfassung von 2008 garantiert ihnen 25 Prozent Sperrminorität und Schlüsselministerien. Auch Aung San Suu Kyi führt ihre Partei NLD nach Feudalherren-Art.

Die Militärs verschleppen Leichen

Was tun derweil all die Menschen, deren Job es ist, sich um die Welt zu kümmern? Reden mögen sie im Auswärtigen Amt in Berlin darüber nicht offen. Der Minister habe schon so viele Statements abgegeben. Diese Woche nannte Heiko Maas die Gewalt in Myanmar „unerträglich“, trug mit tief gerunzelter Stirn EU-Sanktionen mit, über die die Generäle lachen dürften. Der UN-Sonderbeauftragte ist „deeply disturbed“. Die Demonstranten sollen Bilder machen – dann kann man die Mörder später vielleicht vor Gericht stellen.

Die Militärs sind offenbar wild entschlossen, Macht und Pfründe zu verteidigen, koste es was es wolle. Um einen Failed State zu verhindern, muss Asean endlich einen Gipfel organisieren. Mit China. Peking dürfte nicht zuletzt wegen des im Suez-Kanal festsitzenden Tanker noch dringender an seinem Seidenstraßenprojekt durch Myanmar zur Küste interessiert sein. Es soll ihm den Weg durch die Straße von Malakka ersparen. Gegen ein aufgebrachtes Volk in Myanmar ist das selbst mit Unterstützung der Junta riskant. Auch Europäer und die UN sollten sich einbringen. Die Gewalt, die wir täglich sehen, ist keine innere Angelegenheit. Wegschauen, und zum nächsten Stream zu switchen, ist keine Option.

Soldaten gruben schamlos die Leiche von Ma Kyal Sin, die sich Angel nannte, aus. Angel protestierte als ihre Anführerin, erzählten die Freunde. Es sei es wert, zu sterben, „um dieses System zu beenden“, habe sie gesagt. Wo Angels Körper jetzt ist, wissen nur die Militärs.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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