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“Die Toten von Marnow” in der ARD : Rache ist eine Art Gerechtigkeit

Vier Mal 90 Minuten in der ARD: „Die Toten von Marnow“ bieten spektakuläres Spannungsfernsehen.

"Die Toten von Marnow" in der ARD : Rache ist eine Art Gerechtigkeit

Fressen und gefressen werden. Die Kommissare Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Sascha Alexander Gersak) kommen…Foto: NDR/Polyphon/Philipp Sichler

Kommissar Frank Elling (Alexander Sascha Gersak) will, dass es den drei Frauen in seinem Leben gut geht: Tochter, Frau und Mutter Helga. Und er will von allen geliebt werden. Nicht einfach, seine Frau Susanne (Anne Schäfer) hat dieses behagliche, verengte Leben – ziert Elling nicht schon ein Bäuchlein? – satt, die Journalistin hat ein Verhältnis mit dem aussichtsreichen OB-Kandidaten von Schwerin. Die Tochter wünscht sich dringend ein Auto zum bestandenen Abitur, Mutter Helga (Christine Schorn) im Heim plagen erste Anzeichen von Demenz.

Ein unmoralisches Angebot

Und Elling ist völlig überschuldet, da kommt ein unmoralisches Angebot gelegen: Eine Unbekannte bietet ihm 200 000 Euro, wenn er in einem Mordfall nicht weiter ermittelt. Der Tote heißt Alexander Beck, er wurde mit durchschnittener Kehle in seinem Bad aufgehängt. Ein Kinderschänder soll er gewesen sein. Als es kurz darauf ein weiteres Mordopfer gibt, zeichnet sich die Tat eines Serienmörders ab. Doch wie hängt ein Hartz-IV-Empfänger aus einer Schweriner Plattenbausiedlung mit dem Bewohner einer noblen Seniorenresidenz am See zusammen? Wählt der Mörder seine Opfer willkürlich aus oder verfolgt er einen Plan? Je tiefer Elling und seine Kollegin Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) in den Fall eindringen, desto mehr werden sie persönlich gefordert.

[„Die Toten von Marnow“, ARD, Teil 1 und 2, Teil 3, 17. März, Teil 4, 18, März, jeweils 20 Uhr 15]

Während die Ermittlungen Fahrt aufnehmen, droht Ellings Bestechlichkeit dem Fahnderduo über den Kopf zu wachsen. Lona Mendt hatte mal ein anderes Leben, offenbar ein glückliches. Jetzt lebt sie in einem Wohnmobil, doch die Vergangenheit fährt immer mit. Dito der Schmerz. Elling ist ihr Seelenverwandter, den lässt man nicht hängen. Aber die Korruption ist nicht die einzige Bedrohung. Auf dem Campingplatz in Marnow, wo Beck sich sommers immer einquartiert hatte, taucht der LKA-Beamte Bernd Peters (Jörg Schüttauf) auf. Der versucht die wahren Hintergründe der Mordserie zu verschleiern, setzt die beiden unter Druck und wird in Mendts Wohnmobil übergriffig. Und der unbekannte Täter steigert die Zahl der Toten.

Vier Mal 90 Minuten

Nicht wenige Autoren werden Holger Karsten Schmidt beneiden. Sein gleichnamiger Roman „Die Toten von Marnow“ wird nicht in einen 90-minütigen Film gepresst, sondern in vier Mal 90 Minuten ausgebreitet. Schmidt wird wissen, welch ein Privileg das ist, der (Drehbuch-)Autor kennt die Bedingungen, die Quotenkurzatmigkeit des TV-Geschäfts.

Holger Karsten Schmidt hat seinen Roman quasi 1:1 für die NDR-Produktion übersetzt – mit einem kleinen, gewichtigen Unterschied: Elling und Mendt wird mit Sören Jasper (Anton Rubtsov) ein Assistent zur Seite gestellt. Jung ist er, gut gebaut, Lona Mendt beginnt eine Affäre mit ihm, indem sie Jasper per Dienstanweisung in ihr Wohnmobil beordert und verführt. Sex mit einem untergeordneten Kollegen? Offensichtlich wollte Schmidt mit der Figur der Kommissarin das Element verstärken, das die Handlungen von Frank Elling bestimmt: Halb Legales mischt sich mit Inkorrektem, dunkles Grau wird der bestimmende Farbton.

Das Hinzufügen der Assi-Figur, übrigens fein gespielt von Anton Rubstov, hätte es nicht wirklich gebraucht, aber okay, Sex und Erotik sind immer ein Anziehungspunkt in der Fiktion.

Kulisse macht einen träumen

Viel von dem schrecklichen Geschehen passiert an Orten der Mecklenburgischen Seenplatte. Das offeriert Regisseur Andreas Herzog und mehr noch seinem Kameramann Philipp Sichler die Chance, einen besonderen Kontrast zu implantieren: Was immer in den Figuren und zwischen ihnen durch die Engführung der Kamera passiert, es passiert im größeren Rahmen, in dieser verwunschenen Landschaft, auf dem geheimnisvollen Campingplatz, in diesem flirrenden Hitzesommer. Friedlich, idyllisch scheint es an der Seenplatte zuzugehen, die Kulisse macht einen träumen, das Geschehen macht einen frösteln. Martin Tingvalls Musik folgt der Action, folgt der Melancholie.

Die Kontraste, das Gegeneinander, das Unreimbare macht den Mehrwert. Wie viel eigenes Recht, wie viel Selbstjustiz darf sich der Einzelne/die Einzelne nehmen? Darf Frank Elling das Schmiergeld annehmen, um seine Ehe, seine Familie zu retten, darf Lona Mendt den LKA-Mann Bernd Peters vernichten wollen, weil er vergewaltigt hat? Durfte ein Arzt in der DDR Medikamententests durchführen, weil er mit einem West-Präparat seine Tochter retten wollte? Die DDR-Führung hat in den 80er Jahren, den Staatsbankrott vor Augen, sämtliche Wirtschaftsbereiche angewiesen, Devisen zu erwirtschaften. Also wurden in mehr als hundert Kliniken Medikamententests für westliche Hersteller durchgeführt, die Stasi passte auf. Waren die Tests ethisch vertretbar, hat der Westen fragwürdig gehandelt, weil er sich auf Deals mit einem diktatorischen System eingelassen hat? Die Umrisse eines großen Skandals werden sichtbar. Elling und Mendt steigen in einen Sumpf, der ist tief und der stinkt.

Vor der Diskussion steht die Aktion

„Die Toten von Marnow“ stellen bei aller Konzentration auf den Krimi solche allgemeingültigen Fragen, mehr untergründig und deutlicher inkludiert in die Motivation der handelnden Personen als im offenen Diskurs. Vor aller Diskussion steht die Aktion. Und die Rache. Elling wird den Geliebten seiner Frau, Oberbürgermeisterkandidat in Schwerin, als Kinderschänder diskreditieren, Mendt ihren Vergewaltiger über den Haufen schießen. Alles fragwürdig, alles menschlich, der Vierteiler oszilliert zwischen den Polen von Recht und Unrecht.

Und es schält sich über die Strecke heraus, dass Elling und Mendt im jeweils anderen eine absolut loyale Person erkennen und akzeptieren. Sie sind gegenseitig ihr einziger Halt, wenn sie sich verlieren, sind sie verloren. Deswegen machen sie diesen Wahnsinn mit, den jeder für sich und den anderen anrichtet. Glück ist eine Metapher dafür, was dem Unglück abgerungen wird.

Glänzend besetzt

Die Produktion ist glänzend besetzt. Sascha Alexander Gersak, Petra Schmidt-Schaller, Jörg Schüttauf, Anton Rubstov, Michael Mendl, Christine Schorn oder Judith Engel dringen tief in ihre Figuren ein, auch von den Bösen geht ein besonderes Leuchten aus. Da agieren keine plastinierten Geschöpfe, sondern Menschen mit Bedürfnissen und Brüchen, Interessen und Indolenzen, tief sind sie ins Menschliche verankert. Sascha Alexander Gersak und Petra Schmidt-Schaller spielen, als hätten sie den Polizisten und die Polizistin verinnerlicht, sie agieren von innen nach außen.

Vier Mal 90 Minuten, da finden sich immer Korinthen. Deren Aufzählung braucht es nicht, „Die Toten von Marnow“ bieten staunenswertes Fernsehen.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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