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„Der Schein trügt“ im Kino : Himmel hilf!

In der serbischen Filmkomödie „Der Schein trügt“ von Srđjan Dragojević wird ein Mann auf skurrile Weise erleuchtet.

„Der Schein trügt“ im Kino : Himmel hilf!

Sanfter Riese. Stojan (Goran Navojec) mit seinem Neonkringel.Foto: Neue Visionen

Wer auf einen Weihnachtsfilm hofft, einen richtigen Weihnachtsfilm, auf das Inwendigwerden der Welt, auf die Erhöhung der Erniedrigten und Beleidigten, wird wohl enttäuscht werden. Obwohl Mitwirkende und Requisiten durchaus stimmen: Da ist Stojan, seine Frau und seine kleine Tochter, Flüchtlinge im eigenen Land 1993, Jugoslawien bricht auseinander. Und plötzlich trägt Stojan einen Heiligenschein, ungefähr so neonfarben wie das Laserschwert in „Star Wars“.

Einen Heiligenschein mitten in dem verwahrlosten Baracken-Viertel, wo Kinder ihre Puppen verbrennen. Wahrscheinlich halten sie das für Realismus: Puppen sind eine Lüge, genau wie Fürsorge. Regisseur Srđjan Dragojević („Parada“) scheut keine Drastik, und die Verbrennung ist nur die Vorlage für den nächsten Schlag.

Denn Stojan und die Zuschauer müssen einsehen: Als Flüchtlinge sind er, seine Frau Nada und ihre Tochter sogar hier ganz unten, Nada sagt: „Selbst die Zigeuner sehen auf uns herab wie auf Schwarze.“ Das ist die Tonlage des Films, hundsgemein.

„Der Schein trügt“ ist ein Fass ohne Boden, nein, falsch, er ist ein Fass mit sehr vielen Böden, und jedes wird anders ausgeschlagen. Und so fügt sich „Der Schein trügt“ würdig ein in die Reihe der besten Balkan-Komödien, die in den letzten Jahrzehnten die Maßstäbe für schwarzen Humor neu gesetzt haben, von „No Man’s Land“ von Danis Tanović bis zu den aberwitzigsten Filmen von Emir Kusturica.

Stojan hat mit seiner Tochter ein Miniaturmodell ihres abgebrannten Hauses aus Holz und Stroh errichtet, er schraubt eben noch die Glühbirne darüber ab, um sie im Gemeinschaftswaschhaus wieder einzudrehen: Jeder bringt hier eine eigene Glühbirne mit, sonst gäbe es schon lange kein Licht mehr, und dann geschieht es: Kurzschluss – der Neonring springt auf Stojans Kopf über.

Das Ding muss weg

Ausgerechnet auf seinen, dabei hat Stojan, der Atheist, sein Parteibuch noch immer nicht weggeworfen, zum größten Ärger seiner frommen Frau. Aber die beeindruckt dieses Symbol der Auserwähltheit auf dem Haupt ihres Mannes keineswegs, sie denkt nach Frauenart älteren Typs: Nun fallen wir hier noch mehr auf!

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Das Ding muss weg. Dragojević und sein Kameramann beobachten mit größtmöglicher Lakonie und Beiläufigkeit alle Versuche der Heimgesuchten, den „verfluchten Pisskringel“ wieder loszuwerden. Wunderbar ist, dass der Regisseur und seine Darsteller dabei nie überziehen, es ist wohl eine Frage der Originalität: Einzig unter einer dicken Pelz-Schapka kann Stojan das unpassende Accessoire verstecken, selbstredend ist Sommer, und nicht einmal im Bett darf er die Mütze absetzen, seine Frau kann bei dem Licht nicht schlafen. Sie schämt sich ohnehin für ihren nicht trinkenden, nicht schlagenden, nicht ehebrechenden Mann, was ihn zum Trottel macht – oder zum Heiligen – , wer wollte das unterscheiden? Aber jetzt muss er anders werden.

Goran Navojec spielt diesen Stojan als sanften Riesen, dem man die Anhänglichkeit an seine robuste Frau (Ksenija Marinković) und vor allem die blasse kleine Tochter glaubt, , die ständig ihre viel zu große Brille nach oben schiebt. Der kritische Punkt ist: In dem Maße, in dem Stojan den Einführungen seiner gläubigen Frau in die rundum sündhafte Existenz folgt, findet er Gefallen an ihr. Klingt völlig plausibel, ist es aber nicht, zumindest nicht im Kino. Denn ist dieser neue Stojan, der plötzlich seine zudringliche Frau niederschlägt, noch derselbe Mensch?

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Es lohnt, Dragojević dennoch zu folgen, denn die Idee seines bösen Films ist längst nicht erschöpft: Je rücksichtsloser Stojan wird, desto mehr wächst sein Ansehen ringsum, sogar in den Augen seiner Frau. Und dann sind wir plötzlich im Jahr 2001, denn „Der Schein trügt“ ist ein Episodenfilm, in dem sich das scheinbar Unzusammenhängende auf unvorhersehbare, aber umso eindrücklichere Weise am Ende – unerlösbar – runden wird.

Wir begegnen Stojan wieder: Noch immer mit Heiligenschein, aber niemand fällt er mehr auf. Stojan ist jetzt Gefängnisdirektor, über ihm schwebt lediglich die Glorie der Macht. Seinem Strafvollzug entgeht niemand, auch nicht der hilflose Maler Gojko, der ein Mörder ist, wie Stojan weiß. Schließlich – da befinden wir uns schon im Jahr 2026 – begegnen wir sogar einer etwas überanstrengten, blassen Galeristin, die auf auffällig-wohlbekannte Weise beständig ihre Brille nach oben schiebt. Und Gojkos Bilder beginnen ein Eigenleben.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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