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Der Goldbären-Gewinnerfilm “Doch das Böse gibt es nicht” : Drei Tage Sonderurlaub

Die Todesstrafe und der Mut zum Nein-Sagen: Für sein Iran-Drama “Doch das Böse gibt es nicht” gewann Mohammad Rasoulof den Goldenen Bären. Kurz darauf sollte er seine Haftstrafe antreten.

Der Goldbären-Gewinnerfilm "Doch das Böse gibt es nicht" : Drei Tage Sonderurlaub

“Und was ist mit mir?” Darya (Ranan Rasoulof, die Tochter des Regisseurs) hadert mit ihrem Onkel (Mohammad Seddighimehr).Foto: Grandilm

Am Ende fühlt man sich wie in einen Film von Abbas Kiarostami versetzt. Die Erhabenheit der iranischen Berge, Olivenhaine, ein Haus auf dem Hügel, kein Handy-Empfang, endlich herrscht Frieden. Die Nichte aus Deutschland ist zu Besuch bei Onkel Bahram und seiner zweiten Frau.

Er züchtet Bienen hinter dem Haus, ab und zu hilft er den Nachbarn, wenn sie nachts mit einem kranken Kind zu ihm kommen. Bahram ist Arzt, aber er darf nicht praktizieren.

Wie hoch der Preis für das Idyll ist, kommt erst zur Sprache, als Bahram und die Nichte Darya dem Fuchs nachstellen, der sich gerne die Hühner holt. Das Tier erschießen, ja oder nein? Der Fuchs kann flüchten, aber der Wahrheit entkommt Darya nicht. Einer schmerzlichen Wahrheit aus ihrer Kindheit, als Bahram sich zwischen seiner Familie und seinem Gewissen entscheiden musste.

Zu Beginn dieses 150-Minuten- Films begleitet die Kamera einen anderen Familienvater. Nach der Nachtschicht holt Heshmat (Ehsan Mirhosseini) seine Frau und Tochter ab, sie fahren zur Bank, kaufen im Supermarkt ein, versorgen die Großmutter, stehen im Stau. Alltag in Teheran, samt kleiner Streitereien der Eheleute.

Als Heshmat nachts wieder zur Arbeit fährt, bleibt er auf der Kreuzung stehen. Ein Zögern, eine Absence vor der grünen Ampel, dann fährt er weiter, macht sich im Dienst etwas zu essen, schaut durch eine Luke, drückt auf den Knopf, als die Kontrolllämpchen auf Grün wechseln. Erst jetzt zeigt sich, welchen Beruf Heshmat hat: Hinter der Luke zappeln Beine in der Luft, hängen bald still. Der fürsorgliche Familienvater überwacht Hinrichtungen im Gefängnis.

„Doch das Böse gibt es nicht“ ist ein Film über die Todesstrafe im Iran, über Befehlsgehorsam in der Armee und den Mut, Nein zu sagen. Vier Episoden, gedreht an vier verschiedenen Orten, unter verschiedenen Regie-Namen offiziell als Kurzfilme angemeldet. So konnte Mohammad Rasoulof die Zensur selbst dann noch umgehen, als er während der Drehs zu einem Jahr Haft und zwei Jahren Reiseverbot verurteilt wurde.

Den Bescheid, dass er die Strafe antreten soll, erhielt Rasoulof kurz nach der Auszeichnung des Films mit dem Goldenen Bären im Februar 2020. Im Juni folgte der genaue Termin, aber er wurde wieder nach Hause geschickt, wegen Corona in den Gefängnissen.

Der Goldbären-Gewinnerfilm "Doch das Böse gibt es nicht" : Drei Tage Sonderurlaub

Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof, Jahrgang 1973.Foto: Cosmopol Film/Berlinale

Es ist ähnlich wie bei seinem Regiekollegen Jafar Panahi: Bis heute muss der 48-jährige Rasoulof jederzeit damit rechnen, hinter Gitter zu gehen. Inzwischen läuft wegen des Films ein weiteres Verfahren gegen ihn, mit dem Standard-Vorwurf der „Propaganda gegen die iranische Regierung“. Und wegen eines angeblichen „Verstoßes gegen die öffentliche Moral“: Die Liebenden in der dritten Episode berühren einander hin und wieder.

Innenräume, düstere Flure, Sinnbilder für das Klandestine, Bedrängende, Verdrängte: Gleich in der allerersten Szene schleppen zwei Männer ein schweres Bündel durch eine dunkle Tiefgarage. Aber es handelt sich nicht um eine Leiche, nur um den Sack Reis, den Heshmat als Sonderration für seine Arbeit erhält. Also doch eine Art Leiche im Keller.

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Häufig ist es Nacht, auch in Teil zwei, in dem ein junger Soldat erstmals bei einer Vollstreckung mitwirken soll und in seiner Panik die Kameraden vom Schlafen abhält. Es ist das Gesetz, sagt einer, du musst den Hocker wegziehen, was willst du machen. Aber Pouya (Kaveh Ahangar) will nicht töten.

Wer in der zweijährigen Armeezeit Befehle verweigert, dem werden Pass die Arbeitserlaubnis oder der Führerschein vorenthalten. Wer hingegen klaglos an Hinrichtungen mitwirkt, bekommt schon mal drei Tage Extra-Urlaub. Wie Javad (Mohammad Valizadegan), der zu seiner Liebsten (Mahtab Servati) auf den verwunschenen Landsitz ihrer Familie eilt, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Bis sich herausstellt, dass hier alle um einen regimekritischen Freund trauern – es war Javad, der den Hocker wegzog.

Der Goldbären-Gewinnerfilm "Doch das Böse gibt es nicht" : Drei Tage Sonderurlaub

Trügerisches Idyll: Nana (Mahtab Servati) ahnt noch nicht, was ihr Liebster getan hat, um als Soldat Urlaub zu bekommen.Foto: Grandfilm

Der Kontrast zwischen Javads Verzweiflung und dem Schäferstündchen unter blühenden Büschen könnte nicht größer sein. Rasoulof behält beides im Blick, die Schönheit seines Landes und die Verstrickung der Menschen. Die Soldaten sind zugleich Täter und Opfer, der freie Wille ist ihnen weitgehend genommen. So deformiert der Unrechtsstaat seine Bürger. Manche gehen in die (innere) Emigration, andere lavieren sich durch oder riskieren Verfolgung und Tod. Aber niemand entkommt dem Terror der Seelen. Auch der alte, todkranke Bahram (Mohammad Seddighimehr) hat Schuld auf sich geladen.

Generationenkonflikt: Die Nichte im Film wird von Rasoulofs Tochter Ranan gespielt

Auch Rasoulofs Politthriller „Manuscripts Don’t Burn“ (2013) und das Dorfdrama „A Man of Integrity“ (2017) über einen der Korruption trotzenden Fischzüchter sind düstere, bewegende Parabeln. Auch sie verhandeln Dilemmata, entstanden unter Zensurbedingungen – und hatten Konsequenzen für den Filmemacher.

Vielleicht fällt „Doch das Böse gibt es nicht“ deshalb etwas lehrstückhaft aus. Seien es die Soldaten auf ihren Betten, das Liebespaar oder Onkel und Nichte, immer wieder wird explizit die schiere Unmöglichkeit moralischer Integrität im Unrechtsstaat verhandelt. Und vielleicht erweist sich die erste Episode als die stärkste, weil sie nichts ausführt, sondern einfach nur zeigt.

Die Nichte im letzten Teil wird von Rasoulofs Tochter Baran gespielt; auf der Berlinale nahm sie den Bären für ihren Vater entgegen. Nicht zuletzt für sie hat er den Film gedreht, als Antwort auf ihre Frage, was ihm wichtiger sei: seine Überzeugung, wegen der er im Land bleibt, oder seine Tochter, die heute fern von ihm in Deutschland lebt.

Was ist mit mir?, fragt sie im Film. Ihr Vater gibt die Hoffnung nicht auf, dass die Zahl der Nein-Sager im Iran steigt. Nicht alle genießen einen gewissen Schutz durch internationales Renommee, wie Rasoulof es bei sich selbst erlebt. Im Abspann werden sämtliche Mitwirkenden genannt. Um einen Film wie „Doch das Böse gibt es nicht“ zu realisieren, braucht es viele, die Nein sagen.
Ab Donnerstag in neun Berliner Kinos. OmU: fsk, Hackesche Höfe, Intimes, Neues Off, Pompeji. Omenglu: Il Kino

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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