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Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt 2025 : Die Botschaft der Apfelbäume

In fünf Jahren darf Deutschland mal wieder die Europäische Kulturhauptstadt stellen. Chemnitz soll der Titel einen Imagewandel bringen.

Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt 2025 : Die Botschaft der Apfelbäume

Von wegen graue Maus: Chemnitz kann auch bunt sein.Foto: ZB

Jubel in Sachsen: Wenn Deutschland in fünf Jahren zusammen mit Slowenien mal wieder die Europäische Kulturhauptstadt stellt, wird Chemnitz den Titel tragen. Das gab die Auswahlkommission am Mittwoch bekannt, coronabedingt per Videokonferenz auf dem Youtube-Kanal der „Kulturstiftung der Länder“. Aus Berlin, aus dem „Europäischen Haus“ am Pariser Platz, wurde der Countdown zur Siegerehrung gesendet, wobei es die Organisatoren verstanden, die Verkündung in einer brutalstmöglichen Spannungskurve hinauszuzögern – durch drei staatstragende Reden von Funktionären der EU- wie der nationalen Bürokratie nämlich.

Um 13.27 Uhr aber zog die Vorsitzende der Jury, die österreichische Kulturmanagerin Sylvia Amann, den Städtenamen aus dem Umschlag. Woraufhin in der live zugeschalteten Chemnitzer Stadthalle ein Riesenjubel ausbrach, der sich so weit steigerte, dass mehrere Teilnehmerinnen vor laufender Kamera alle Abstandregeln vergaßen und sich umarmten.

Einfach nur „klücklich“ sei sie, erklärte in bestem Sächsisch die scheidende Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig und seufzte: „Das wird der Stadt so gut tun.“ In den vier Jahren des Bewerbungsprozesses war die SPD-Politikerin eine treibende Kraft, als es darum ging, die zunächst zögerlichen Bürger für das Kulturhauptstadt-Projekt zu begeistern. Am Freitag kann sie jetzt guten Gewissens den Chefsessel im Rathaus ihrem Nachfolger Sven Schulze überlassen.

Chemnitz ist die vierte deutsche Titel-Trägerin

1988 war Berlin die erste Europäische Kulturhauptstadt auf deutschem Boden, da gab es den Ehrentitel gerade einmal seit vier Jahren. 1999 folgte Weimar, 2010 repräsentierte das Ruhrgebiet das Land. Und nun also Chemnitz. Wie hat die 250 000-Einwohner-Stadt die 12-köpfigen Jury überzeugt, in der neben Experten aus ganz Europa auch die Intendantin der Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel, saß, sowie der Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen, Ulrich Raulff?

Gut kam beispielsweise an, dass es einen intensiven partizipatorischen Prozess gab, dass 24 umliegende Gemeinden eingebunden werden und die kulturelle Strategie gleich bis ins Jahr 2030 reicht. Mit dem Motto „C the unseen“ will Chemnitz die „stille Mitte“ sichtbar machen, jene Menschen, die sich aus den politischen Debatten zurückgezogen haben, während extreme Meinungen immer lauter werden – wie etwa im August 2018 in Chemnitz.

Nachdem ein Mann beim Stadtfest erstochen worden war, hatten Rechtsradikale tagelang demonstriert und randaliert. Die Folgen für das Image der Stadt waren verheerend. Nun soll die „stille Mitte“ ermutigt werden, sich wieder einzumischen: in den Nachbarschaften, in den Städten, in den Regionen Europas.

3000 Garagen sollen zu “Werkstätten der Interaktion” werden

„Gewagte, ambitionierte Verbindungen von Spitzenkünstlern und Autodidakten“ hat Barbara Ludwig am Mittwoch für das Jubeljahr angekündigt. Um das Machen wird es gehen, um kreative Prozesse auf jedem Niveau bis hin zum „do it yourself“. 3000 Garagen sollen zu „Werkstätten der Interaktion“ werden, das Figurentheater Chemnitz will aus persönlichen Fundsachen und Geschichten kleine Stücke entwickeln, die dann auf der Bühne einer mobilen Garage aufgeführt werden.

Globales Denken und lokales Handeln möchte man auch beim Projekt der 4000 Apfelbäume verbinden, die überall in der Stadt gepflanzt und dann von Paten gepflegt werden. Künstler aus verschiedenen Ländern werden parallel einen Kunstparcours entstehen lassen, außerdem fügt eine interaktive, nach dem Pokemon-Prinzip funktionierende Gaming-App „Go Apple go“ Bildungsaspekte hinzu, von Nachhaltigkeit über Ressourcen bis zu Migration.

Und schließlich will Chemnitz 2025 auch die „Europäische Friedensfahrt“ wieder aufleben lassen, das berühmteste Amateur-Radrennen des Ostens. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird es in Pilsen starten, den Korridor passieren, in dem 1945 die amerikanischen auf die sowjetischen Truppen trafen und nach 170 Kilometern in der Kulturhauptstadt enden.

Es geht um Nachhaltigkeit

In der Vorrunde war Chemnitz zusammen mit Magdeburg, Gera, Hannover, Nürnberg, Zittau, Hildesheim und Dresden angetreten. Und irgendwie schien es ausgemacht, dass das prächtige Dresden Deutschland 2025 vertreten würde. Doch die Jury entschied anders. Zusammen mit Gera und Zittau flog Dresden im vergangenen Dezember raus. Die Kriterien für die Vergabe des Ehrentitels haben sich mächtig gewandelt, seit ihn die griechische Kulturministerin Melina Mercouri 1985 erfand. Zunächst waren vor allem die Hauptstädte dran, dann kamen die zweitgrößten Metropolen, anschließend kleine, historisch feine Orte.

Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt 2025 : Die Botschaft der Apfelbäume

Das im Volksmund nur als “Nischl” bezeichnete Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz.Foto: Jan Woitas/dpa

Irgendwann setzte sich die Überzeugung durch, dass hier keineswegs 365 Tage lang Halligalli für Touristen veranstaltet werden soll – und hinterher dürfen die Einwohner den Müll wegräumen. Nachhaltigkeit heißt mittlerweile das Kulturhauptstadt-Motto, es geht nicht mehr nur um Wertschöpfung durch Hotel- und Gaststätteneinnahmen, sondern darum, dass die Stadt nach dem Fest für ihre Bewohner dauerhaft lebenswerter geworden ist.

2019 hießen die Europäischen Kulturhauptstädte Matera und Plowdiw, in diesem Jahr tragen Rijeka und Galway den Titel, 2021 werden es Timisoara, Eleusis und Novi Sad sein. Orte, die unterm Radar der internationalen Aufmerksamkeit lagen. Und dennoch hat das Kulturhauptstadtjahr vor Ort jeweils auf individuelle Art Positives bewirkt. Weil nachhaltige Ziele für die Einwohner im Mittelpunkt standen, weil lange aufgeschobene Projekte wie die Renovierung historischer Gebäude, die Umwandlung von Industriebrachen in Kulturzentren verwirklicht werden konnten. Wodurch letztlich ein neues Selbstbewusstsein entstand.

In Nordrhein-Westfalen gehen die Kulturmacher jetzt deutlich aufrechter durchs Land als vor „Ruhr 2010“. Der EU-Titel hat dabei geholfen, das alte Kirchturmdenken zu überwinden. Heute muss darum niemand peinlich beschämt zu Boden schauen, weil der aktuelle Werbespruch der Region „Hier ist das Wirgebiet“ lautet.

Der Bewerbungsprozess ist langwierig

Darum bewarben sich für die Kulturhauptstadt 2025 fast ausschließlich urbane Underdogs. Da kann durch den Titel-Gewinn das Image nur besser werden. Weshalb die Städte bereit waren, sich dem langwierigen Prozedere des Wettkampfs zu unterziehen. Zunächst mussten sie ein 60-seitiges „Bid Book“ erstellen, indem sie ihre Pläne skizzieren – und die Finanzierung. Im vergangenen Dezember folgten Präsentationen vor der Jury inklusive Frage-und Antwort-Kreuzverhör. Die fünf verbliebenen Kandidaten hatten anschließend ein zweites Bewerbungsbuch einzureichen. Mitte Oktober folgten die Stadtbesuche, aufgrund der Pandemie nur in digitaler Form, schließlich die finale Präsentationsrunde.

Die Jury wird den Gewinner auch künftig nicht aus den Augen lassen. Ein fortlaufendes Monitoring ist vorgesehen, damit nicht zwischendurch neu gewählte Politiker die Planungen willkürlich umstoßen können. Und auch für die Zeit nach 2025 muss ein Nachhaltigkeits-Konzept vorgelegt werden. Das Hauptstadtjahr wird also nicht der Endpunkt der stadtplanerischen Entwicklungsstrategie, sondern nur das Bergfest.

In Chemnitz lassen sich nicht nur die in allen europäischen Staaten virulenten Probleme wie Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und gesellschaftliche Spaltung wie unterm Brennglas beobachten. Die Stadt steht auch für die Überalterung der westlichen Welt. Jeder zweite ist hier über 50. Weshalb so mancher Manager schon davon träumt, rund um Chemnitz ein Agetech Valley zu etablieren, wo Produkte entwickelt werden, die den Alltag der zahlungskräftigen Zielgruppe der Senioren leichter machen. Wenn sie klug sind, bauen die Kulturhauptstadt-Macher das in ihre Strategie für 2025 ein.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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