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„Bombe von 100 Gigabite“ : Entsetzen über russische Folter-Videos

Russlands Gefängnisse und Straflager sind berüchtigt für rohe Gewalt. Nun belegt eine beispiellose Menge an Videos die tiefsten Abgründe.

„Bombe von 100 Gigabite“ : Entsetzen über russische Folter-Videos

Das Gefangen-Krankenhaus Nummer eins, dessen Personal des Missbrauchs von Häftlingen beschuldigt wird.Foto: Filipp Kochetkov/TASS/dpa

Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis in der russischen Wolga-Metropole Saratow fürchtet Sergej Saweljew um sein Leben. Der junge Mann hat Unmengen an Videomaterial aus dem Knast geschmuggelt, um die Abgründe des Strafvollzugs öffentlich zu machen. „Es sind Videos voller schrecklicher, sadistischer Szenen“, sagt der 31-Jährige, der in Frankreich Asyl erhalten hat. Zu sehen sind nackte gefesselte Gefangene, die auf jede erdenkliche Weise gequält werden.

Dass in Russland Gefangene gefoltert werden, ist nichts Neues. Aber das Ausmaß, das nun bekannt wird, übertrifft alles Vorstellbare, wie Wladimir Ossetschkin vom Menschenrechtsprojekt Gulagu.net sagt. Er veröffentlicht in sozialen Netzwerken immer wieder gepixelte und viel beachtete Aufnahmen von der rohen Gewalt in Straflagern.

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Vor allem die Anfang Oktober veröffentlichten Videos aus dem Gefangenen-Krankenhaus Nummer eins in Saratow lösten breites Entsetzen aus. Saweljew arbeitete dort in der Video-Überwachung – und hatte so Zugang zu den Dateien. Nach seiner Freilassung übergab er sie an Ossetschkin, der Russland schon 2015 verlassen hatte.

Seine Organisation hat Ossetschkin nach dem unter Sowjetdiktator Josef Stalin gegründeten Lagersystem benannt, das auch der Schriftsteller Alexander Solschenizyn (1918-2008) einst in seinem Werk „Archipel Gulag“ beschrieb. Der Name Gulag ist weg, aber sogar russische Regierungspolitiker beklagen bisweilen, dass das System im Grunde weiterlebe.

„Bombe von 100 Gigabite“ : Entsetzen über russische Folter-Videos

Der Menschenrechtler Wladimir Ossetschkin (l), der gegen Folter an Gefangenen im russischen Strafvollzug kämpft, und der frühere…Foto: Wladimir Ossetschkin/dpa

Saweljew und Ossetschkin haben in Biarritz, dem Seebad im Südwesten Frankreichs, politisches Asyl gefunden. Sie reden fast täglich mit internationalen Medien, arbeiten mit Dokumentarfilmern. Ihr Ziel ist es, die bisher wohl größte Enthüllung von Gewalt in russischen Gefängnissen öffentlich zu machen.

Russlands Starmoderatorin Xenia Sobtschak traf Saweljew gerade in Frankreich zum Interview für ihren Videokanal. Sie nennt ihn einen „Helden neuen Typs“ und stellt ihn in eine Reihe mit Whistleblowern, die staatliche Missstände öffentlich machen.

Eine „Bombe von 100 Gigabite“ hat sie ihren Film mit Blick auf die Datenmenge genannt. Zu Wort kommen auch misshandelte Gefangene, die von einem System der Angst und des Wegsehens berichten. Mehr als zwei Millionen Menschen haben den Film bisher bei Youtube aufgerufen.

In anderen Ländern würden bei solchen Skandalen Regierungen stürzen, sagt Sobtschak. Nicht aber in Russland. Zwar sind die von Saweljew beschuldigten Beamten aus dem Strafvollzug entlassen. Festnahmen gab es bisher aber keine. Stattdessen hat die Justiz gegen Saweljew Haftbefehl erlassen und ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Russlands Medien-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor versucht zudem, die Videos online etwa bei Youtube sperren zu lassen.

Der aus Belarus stammende Saweljew, das erkennen viele an, hat sein Leben riskiert, um das Material zu veröffentlichen. Und doch sind Stimmen wie die der Menschenrechtsbeauftragten der russischen Regierung, Tatjana Moskalkowa, die seinen Mut lobte, eher selten. Saweljew und Ossetschkin sagen, sie bekämen Morddrohungen. Der Kontakt mit ihnen gelingt über Facebook. Der 40-jährige Ossetschkin gibt sich kämpferisch: „Wir machen weiter.“

Beide wissen, dass Russlands Geheimdienste einen langen Arm haben. Die Liste ermordeter russischer Regierungskritiker ist lang. Ossetschkin wirft dem Strafvollzug und dem Inlandsgeheimdienst FSB vor, ein System der Unterdrückung und Erniedrigung geschaffen zu haben. „Obwohl alle sehen können, was in den Straflagern vor sich geht, gibt es keine objektiven Ermittlungen“, sagt er. „Klar ist vielmehr, dass man uns vernichten will.“

Es gebe aber noch weitere Informanten. Die Veröffentlichungen sollen weitergehen. „Das System handelt immer gleich: Verfolgt werden jene, die die Wahrheit sagen“, meint Saweljew, der sich als „Verräter“ und „Staatsfeind“ verunglimpft sieht. Er hat Namen der mutmaßlichen Täter des Strafvollzugs veröffentlicht. Oft aber würden die Wächter nicht selbst die Gewalt verüben, sondern Mitgefangene.

Menschenrechtler sehen mehrere Gründe für die Folter

Gefangene ließen sich auf die Gewalt gegen Mitinsassen ein, um für sich Vorzüge wie mildere Urteile, vorzeitige Freilassung oder auch nur Alkohol zu erkaufen. Aufnahmen von Folter dienten zudem der Abschreckung, um von Gefangenen Geld zu erpressen. Bisweilen könnten Kriminelle zudem Strafaktionen gegen ihre Feinde im Gefängnis bestellen, heißt es.

Eingesetzt werde die Gewalt aber nicht zuletzt, um Straftäter zu brechen, umzuerziehen oder ein Geständnis zu erpressen. Wer als Ermittler Schuldige präsentiert, kann auf Boni und Beförderung hoffen. In einem offenen Brief an Wladimir Putin fragte Ossetschkin zuletzt, ob der Kremlchef wisse, dass ihn Generäle und Offiziere „an der Nase herumführten“ und nichts täten gegen die Gewalt. Oder ob der Präsident gar selbst Bescheid wisse – und „die Folter persönlich zulässt“. Eine Antwort darauf gibt es nicht.

„Das Ausmaß an Folter, Korruption, unmenschlichen Behandlungen und Morden übertrifft alles. Die Welt sieht nun diese massenhaften Verbrechen“, sagt Ossetschkin. Er fordert unter anderem eine härtere Bestrafung für Folter im Strafvollzug in Russland sowie ein Ende der Verfolgung jener, die Missstände öffentlich machen.

Die Moderatorin Sobtschak meint, dass das ganze System zerschlagen und von Grund auf neu gebildet werden müsse. Doch die prominente Menschenrechtlerin Olga Romanowa, die sich für die Rechte von Gefangenen einsetzt, hat da keine Hoffnung. Vielleicht führten Saweljews Enthüllungen kurzzeitig zu weniger Folter. „Es gibt aber keine Illusionen, dass sich etwas ändern lässt. Der Strafvollzug selbst ist in seinem Zustand eine Verletzung der Menschenrechte.“ (dpa)

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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