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Berlins SPD-Fraktionschef Saleh im Interview : „Wollen wir diesen Leuten sagen, sie sollen Lastenrad fahren?“

Raed Saleh ist seit zehn Jahren Fraktionsvorsitzender der SPD in Berlin. Er spricht über die Verkehrswende, eine Verwaltungsreform und Koalitionsverhandlungen.

Berlins SPD-Fraktionschef Saleh im Interview : „Wollen wir diesen Leuten sagen, sie sollen Lastenrad fahren?“

Raed Saleh, Fraktionsvorsitzender der Berliner SPD, spricht bei einem Pressetermin im Abgeordnetenhaus. Saleh will doppelt so…Foto: Jens Kalaene/dpa

Herr Saleh, wir sitzen in der Altstadt von Spandau, in der Fußgängerzone. Können Sie sich vorstellen, dass ihr Heimatbezirk einmal autofrei wird?
Ich finde die Vision einiger autofreier Kieze gut. Das Auto nimmt einen zu großen Raum ein, aber man darf nicht schwarz-weiß denken. Eine autofreie Stadt, wie sich die Grünen das vorstellen, ist nicht realisierbar.

Ein Beispiel: Wenn jemand im Märkischen Viertel wohnt, sein Kind zur Kita bringen muss, als Pfleger in Köpenick arbeitet, dann abends zurückfährt, um die Einkäufe zu machen, dann braucht dieser Mensch in den meisten Fällen ein Auto. Wollen wir diesen Leuten sagen, sie sollen Lastenrad fahren?

Sie haben angekündigt, dass Stadtentwicklung und Verkehr ein Ressort werden sollen unter SPD-Führung. Was schlagen Sie denn vor?
Mittelfristig wollen wir die Verbrenner aus Berlin rausbekommen, wir wollen mehr Busspuren, sichere Radwege – auch in den Außenbezirken – und ausreichend E-Ladesäulen. Die Grünen richten ihre Verkehrspolitik nur nach dem Prinzip der kurzen Wege aus.

Das geht vielleicht in der Innenstadt – aber die, die in Buch wohnen, in Lichtenberg, Marzahn oder hier in Spandau,  sind oftmals auf ihr Auto angewiesen. Ich bin gegen die Politik des erhobenen Zeigefingers, das schafft Verunsicherung. Wir brauchen Anreize, das Auto stehen zu lassen.

Deshalb verstehen wir auch nicht, warum Grüne und Linke so erbittert gegen neue U-Bahnen kämpfen. Wir wollen weiter für unser 365-Euro-Ticket kämpfen, wie es in Wien bereits funktioniert. Die SPD will kein Zwangsticket, wie es die Grünen wollen. Wir wollen eine Politik für alle machen, auch für die, die uns nicht gewählt haben –  nicht nur für eine bestimmte Klientel.

Wäre dieses Super-Ressort in SPD-Hand eine Bedingung für eine Koalition unter einer Bürgermeisterin Franziska Giffey?
Eigentlich bin ich kein Freund von Bedingungen. Aber man kann die Augen nicht davor verschließen, dass beides zusammengedacht werden muss. Wir haben doch gemerkt, wie es nicht läuft in den vergangenen fünf Jahren: Wir haben Stadtgebiete, die nicht angebunden sind, weil die Ressorts Verkehr und Stadtentwicklung zu wenig miteinander kommunizieren.

Auch der Radwegeausbau ist kaum vorangekommen. Seit 2017 wurden gerade einmal rund 100 Kilometer Radwege gebaut.
Wir haben unter Rot-Rot-Grün vieles richtig gemacht und es waren gute Jahre für Berlin. Aber beim Radwegeausbau ist das maximal ein Befriedigend. Wir wollen künftig nicht mehr kleckern, sondern klotzen. Bei der Radinfrastruktur müssen wir viel schneller zu Potte kommen. Das wird eine unserer Prioritäten in der nächsten Legislaturperiode. Vor allem brauchen wir aber sichere Radwege, das zeigt uns die schockierende Unfallbilanz der letzten Jahre.

Andere Städte wie Brüssel und Paris haben in den vergangenen Monaten und Jahren Teile der Innenstädte gänzlich autofrei gemacht, Madrid pflanzt einen Waldgürtel um die Stadt als Schutz vor Erhitzung und Trockenheit. In Berlin wurde der Mietendeckel, das größte Projekt, vom Verfassungsgericht gekippt. Was hat diese Koalition denn außer Ankündigungen wirklich erreicht?
Wir haben ein Zweckentfremdungs- und Umwandlungsverbot beschlossen. Wir haben jetzt ein großes Klimaschutzpaket verabschiedet, ein Solargesetz. Damit haben wir den Grundstein für die klimaneutrale Metropole der Zukunft gelegt. Vor allem aber entlasten wir die Menschen in Berlin und machen damit die Stadt für sie bezahlbarer. Beispiel kostenloses Schülerticket, das warme Mittagessen für alle Grundschulkinder, der kostenlose Kitabesuch und vieles mehr.

Es gibt durchaus Kritik am Credo der Gebührenfreiheit für alle, dem Gießkannenprinzip. Wäre das Geld nicht besser  in den Umbau der Stadt investiert, in Klimafreundlichkeit und Lebensqualität für alle?
Ganz deutlich: nein! Es gibt auch kein Zurück bei der Gebührenfreiheit im Bildungsbereich. Wenn jemand versucht, das rückgängig zu machen, dann scheitern an dieser Stelle die Koalitionsgespräche. Da lege ich mich fest. Aber uns ist klar, dass wir jetzt investieren müssen, in der Krise spart man nicht. Auch das ist für uns nicht verhandelbar.

Lassen Sie uns über die Berliner Verwaltung reden…
Ohweia! (lacht). Aber im Ernst: Die wird auch häufig schlechter gemacht, als sie ist. Es gibt viele Bereiche, da ziehe ich meinen Hut, die allermeisten machen dort einen wunderbaren Job.

Schauen wir in die Zukunft: Berlin steht vor gewaltigen Aufgaben. Müssten dafür nicht mehr Aufgaben zentralisiert, die Bezirke entmachtet werden?
Bevor wir die Diskussion einer strukturellen Änderung führen, sollten wir erstmal die Lage jetzt in den Griff bekommen. Die Entmachtung der Bezirke ist für mich ein Nebenkriegsschauplatz. Zuerst steht für uns die Aufgabe an, digitale Bürgerämter zu schaffen – das hat Corona noch einmal wie im Brennglas gezeigt. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Zentralisierungsdebatten.

Das Eine ist die Akuthilfe, aber müsste man nicht jetzt mit Weitblick handeln? Wie wird das Pingpongspiel zwischen Behörden langfristig verhindert, wie die lahmende Digitalisierung vorangetrieben?
Die Strukturdiskussion wird doch seit Jahrzehnten geführt. Das ist aber etwas für Feinschmecker. Opa Ernst und Oma Krawuttke interessiert, ob sie einen Termin im Bürgeramt kriegen oder nicht. Wir können gern über eine Enquete-Kommission zur Verwaltungsmodernisierung sprechen, die sich die Zeit nimmt, die Strukturen in den Ämtern gründlich zu untersuchen. Aber in allererster Linie geht es doch darum, dass die Menschen schnell einen Termin bekommen.

Gibt es das gleiche Problem nicht beim Wohnungsbau? Die Opposition wirft Ihnen vor, zu wenig zu bauen, gleichzeitig werden in den CDU-regierten Bezirken kaum Wohnungen fertig. Braucht es nicht stärkere Eingriffsrechte des Senats?
Ach, die CDU bläst gern die Backen auf, aber hat das Pfeifen verlernt. In Reinickendorf oder Steglitz-Zehlendorf, beides CDU-Bezirke, wird am Wenigsten gebaut. Der Senat muss sein Eingriffsrecht bei großen Wohnungsprojekten noch häufiger nutzen.

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Das gibt es ja längst. Genauso muss der Senat endlich bei der Ausweisung neuer Milieuschutzgebiete aktiv werden. Auch hier gibt es bislang leider noch keine Bereitschaft, das Durchgriffsrecht zu nutzen und so mehr Schutz für die Mieterinnen und Mieter zu schaffen. Wir müssen aber die Geschwindigkeit dringend erhöhen. Nehmen wir den Siemens-Campus in Spandau: Hier sind hohe Mietsteigerungen zu befürchten. Hier müssen wir frühzeitig und strategisch handeln.

Die Legislaturperiode geht auf ihr Ende zu. Gestritten wird noch um die „Charta Stadtgrün“ und das Kleingartensicherungsgesetz, das SPD und Linke unbedingt wollen. Wird das noch was bis zu Wahl?
Bei der Charta Stadtgrün bin ich zuversichtlich, da könnten wir uns noch einigen. Es gibt nur noch eine kleine Meinungsverschiedenheit: Die Grünen wollen, dass sich bei allen bestehenden Flächen nichts mehr entwickeln darf und alles zur grünen Wiese wird.

Egal ob alter Rangierbahnhof oder eine innerstädtische Ackerfläche, die aufgegeben wurde. Aber was machen wir, wenn wir in zehn Jahren dort eine Kita brauchen oder ein Seniorenwohnheim? Wir wollen deshalb einen Vorzug für Grün, aber keinen Automatismus. Das Kleingartenschutzgesetz werden wir nicht mehr durchkriegen, da sind die Grünen dagegen.

Es gibt vor allem rechtliche Bedenken, auch aus der Umweltverwaltung. Bleibt ihr Versprechen, dass die SPD jeden Kleingarten in Berlin schützen will?
Das Gesetz liegt vor: Wir wollen Kleingärten schützen, die auf Flächen des Landes Berlin liegen. Das bleibt unser Versprechen. Wir wollen die Kleingartenanlagen weiter für alle öffnen, mehr Pflanzenvielfalt und weniger Zäune.

Grüne und Linke wollen die Koalition nach der Wahl fortführen. Die SPD positioniert sich bislang nicht. Der größte Streitpunkt ist wohl die Enteignungsfrage: Die Linken unterstützen den Volksentscheid, auch die Grünen drohen mit Enteignungen, die SPD ist dagegen. Wie wollen Sie in dieser zentralen politischen Frage zusammenkommen?

Wir haben in den vergangenen Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet als Koalition und wir haben viel für diese Stadt getan. Für uns ist das erste Ziel eine starke SPD. Dafür kämpfe ich. Alles andere sehen wir dann.

Auch der Ton im Wahlkampf wurde zuletzt schärfer. Linkspartei-Chefin Katina Schubert warf Giffey „allgemeines Blabla“ vor.  Ist das der Umgangston in einer Koalition?
Franziska Giffey trifft den Nerv der Menschen. Ihre Ideen und Vorstellungen für unsere Stadt kommen bei den Berlinerinnen und Berlinern an. Das zeigen die Umfragen. Die SPD und Franziska Giffey sind auf einem sehr guten Weg. Mich freut das.

Können sich Ihre Wähler darauf verlassen, dass die SPD in keine Koalition geht, in der Wohnungskonzerne enteignet werden sollen?

Wir respektieren, was die Berliner am 26. September wollen. Aber ich sage es ganz deutlich: Es ist falsch, Unternehmen zu enteignen, nur weil sie eine bestimmte Anzahl von Wohnungen besitzen. Das ist Willkür und das ist falsch. Das ist weder sozial noch fair.

Es ist extrem teuer, schafft keine einzige neue Wohnung und liegt juristisch auf sehr, sehr dünnem Eis. Deshalb haben wir uns zum Volksentscheid klar mit Nein positioniert. Dass es überhaupt die Möglichkeit zur Enteignung gibt, haben Sozialdemokraten ins Grundgesetz geschrieben.

Nach dem Motto: Kommt jemand seiner Allgemeinverpflichtung nicht nach, muss er gehen. Wenn sich jemand heute schäbig verhält, gegen Gesetze verstößt – diesem Eigentümer kann man schon jetzt seine Grenzen aufzeigen.
Vermieter, die sich nicht an Gesetze halten, wollen Sie also enteignen?
Ich habe ein Problem damit, dass man alles immer schwarz-weiß betrachtet. Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Aber daneben steht auch der Schutz des Eigentums – und der ist ein genauso hohes Gut. Deswegen bin ich gegen willkürliche Enteignungen.

Aber wie wollen Sie sich mit einer Linkspartei bei Koalitionsverhandlungen einigen, die Enteignungen zum zentralen Projekt macht?
Ach, die Linken können auch sehr pragmatisch sein. Ich glaube persönlich nicht, dass die Initiative letztlich durchkommen wird mit ihren Forderungen und bin optimistisch, dass die Mehrheit der Berliner die Enteignungen ablehnen wird.

Sie haben die Berliner SPD mit Franziska Giffey neu ausgerichtet, stellen Themen wie Wirtschaft, Arbeit, Sicherheit und Sauberkeit nach vorn. Giffey positioniert die SPD als „Partei der Mitte“…
Genau. Wir sind eine linke Volkspartei, die die Menschen in der Mitte der Gesellschaft abholt. Für uns heißt links sein auch: Ich traue mich nachts, U-Bahn zu fahren und es gibt eine Kamera, die die Verfolgung von Straftätern erleichtert. Für mich heißt links sein, dass wir die Beschäftigten von Charité und Vivantes gut bezahlen. Links sein heißt, für die Menschen da zu sein.

Wir wollen deshalb, dass die Berliner in einer sauberen Stadt leben. Ich möchte in den kommenden fünf Jahren die Anzahl der Parks verdoppeln, die durch die BSR gereinigt werden. Unser Versprechen ist, dass wir die ganze Stadt im Blick haben – das unterscheidet uns von anderen Parteien.

Und dazu sondieren Sie nach der Wahl mit allen Parteien?
Nein. Mit der AfD werden wir niemals Gespräche führen. Die SPD hat sich immer gegen Nazis und Rechtspopulisten gestellt und das wird auch so bleiben. Zu Ihrer Frage nach einer zukünftigen Regierung: Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Koalitionsplanungen.

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Wir sagen ganz klar, wofür wir stehen. Ich bin kein Freund davon, wie der Herr von der CDU, sich einfach durchzuschlängeln, sodass niemand weiß, was am Ende rauskommt. Ein Wahlkampf ist dazu da, sich zu reiben und darüber zu reden, was die Unterschiede sind. Das ist unser Weg.

Warum sollten sich die Berliner nach 20 Jahren SPD nochmal dafür aussprechen, von Ihrer Partei regiert zu werden?
Weil das 20 gute Jahre waren. Klaus Wowereit hat der Stadt weltweites Ansehen verliehen. Überall hieß es in den letzten Jahren: Berlin, da müssen wir hin. Michael Müller hat mit der Flüchtlings- und der Coronakrise zwei weltweite Krisen gemanagt –  mit Herz und Augenmaß.

Paris und Berlin sind heute die Herzkammern Europas. Weltweit wird heute der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Berlin mit Hochachtung betrachtet, wir sind in der EU führend bei den Start-ups, Nobelpreisträger kommen von hier…

…und Franziska Giffey, die ihren Doktortitel verloren und auch in ihrer Masterarbeit unsauber gearbeitet hat, soll diese Wissenschaftsmetropole regieren?
Das ist albern! Franziska Giffey hat gesagt, dass sie die Konsequenzen zieht, wenn ihr der Doktortitel aberkannt wird. Trotz zwei Jahre andauerndem Hickhack – Prüfen, Titel lassen, Rüge, Titel doch wegnehmen – hat sie Wort gehalten. Franziska hat schon bei ihrer Kandidatur gesagt: Egal, was passiert – ich stehe bereit. Nur die Berliner entscheiden am Ende, ob sie Franziska Giffey als nächste Regierende Bürgermeisterin haben wollen.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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