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Barack Obama und Bruce Springsteen : Zwei Träumer, eine Nation

Barack Obama und Bruce Springsteen denken im Gesprächsband „Renegades“ über Amerika nach. Er erzählt auch von ihrer ungewöhnlichen Freundschaft.

Barack Obama und Bruce Springsteen : Zwei Träumer, eine Nation

Seite an Seite: Barack Obama (links) und Bruce Springsteen beim Präsidentschaftswahlkampf 2012.Foto: imago images/ZUMA Wire

Wenn der ehemalige US-Präsident und der erfolgreichste Rockstar der Gegenwart – die mit „Yes, we can“ beziehungsweise „Born in the USA“ geflügelte Worte eines gesamtgesellschaftlichen Projekts geschaffen haben – sechs Stunden lang über ihr Verhältnis zu Amerika sinnieren, kann man getrost von einem Blockbuster sprechen. Auch wenn im Streamingzeitalter natürlich keine Warteschlangen mehr ganze Straßenzüge säumen.

Dass der achtteilige Podcast „Renegades: Born in the USA“ von Barack Obama und Bruce Springsteen im Frühjahr 2021 zu einem solchen Lockdown-Hit avancierte, hatte nicht nur mit einem Überschuss an Freizeit zu tun, die man plötzlich mit sich selbst verbringen musste. Es gab in den vergangenen 18 Monaten auch ein gesteigertes Bedürfnis nach außergewöhnlichen Biografien, wie die Binge-Hits über den Tiger King und Michael Jordan auf Netflix zeigten.

Der Boom des „Laber-Podcasts“ hat einige unschöne Nebenwirkungen mit sich gebracht, etwa eine Renaissance der Selbstdarsteller:innen. „Renegades“ ist davor gefeit, weil Obama und Springsteen, schon aus professionellen Gründen, gute Geschichtenerzähler sind. Die beiden kennen sich seit dem Wahlkampf 2008, damals wirkte der „Boss“ auf den angehenden Präsidentschaftskandidaten noch wie ein schüchterner Junge, erinnert sich Obama. Aus der distanzierten Bewunderung entwickelte sich eine echte bromance, was nicht zuletzt den Charme ihrer Gespräche ausmacht.

Ihr Podcast  ist insofern auch eine Zeitkapsel, als hier zwei sehr unterschiedliche Vertreter der Baby-Boomer-Generation auf ihre bisherigen Leben zurückblicken. Doch über dem Sommer 2020, in dem sich die beiden in Springsteens Studio in New Jersey trafen, lagen auch Schatten: außer einer Pandemie noch die Bedrohung einer zweiten Amtszeit Donald Trumps sowie die Black-Lives-Matter-Proteste nach der Ermordung von George Floyd. Genug Gründe also, das Anekdotisch-Biografische mit dem akut Politischen zu verbinden.

Dass der Podcast mit einigen Monaten Abstand nun noch von einem Gesprächs- und Bildband gleichen Titels (Penguin Random House, München, 320 Seiten, 42 €) begleitet wird, hat zunächst natürlich viel mit gutem Marketing zu tun. Obama und Springsteen haben ihre Lebensgeschichten bis hierhin schon weidlich ausgewalzt, „Ein verheißenes Land“ und „Born in the USA“ rangierten ganz oben in den Bestsellerlisten (wie inzwischen auch das Buch zum Podcast). Springsteen hat sein Leben sogar erfolgreich an den Broadway gebracht, basierend auf seinem Auftritt im Weißen Haus.

Präsident mit Entertainer-Qualitäten

Das Buchformat hat gegenüber dem Podcast nun einen klaren Nachteil. Okay, zwei: Den Podcast konnte man beim Kochen oder auf dem Peloton im Hintergrund mitlaufen lassen. Aber es fehlt einem auch der unnachahmliche Sprachduktus Obamas, der schon als Präsident seine Alleinunterhalter-Qualitäten bewiesen hat. Dafür wirken die transkribierten Gespräche konzentrierter, weil sie ohne die Popstar-Aura auskommen müssen. Diese Rolle übernehmen im Buch zahllose Fotos und Schnappschüsse aus den Familienalben der Obamas und Springsteens; ein Kapitel widmet sich den Ehefrauen Michelle und Patti.

Die Frage, was man denn nun aus den Ausnahmebiografien zweier Multimillionäre über ein Amerika lernen soll, das sowohl Obama als auch Springsteen in ihren Reden und Songtexten stets beschworen haben, ist natürlich vollkommen legitim. Gerade Obama, dem in seinen acht Jahren im Weißen Haus oft vorgeworfen worden war, seine sozialpolitischen Versprechen nicht konsequent umzusetzen, könnte man – mehr als den Musiker Springsteen – an seinen Taten messen. Obama gehörte stets zu den Ersten, die in der sozialen Frage auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger pochten, statt die Ursachen der sozialen Ungleichheit im System zu verorten.

Barack Obama und Bruce Springsteen : Zwei Träumer, eine Nation

Bruce Springsteen unterstützte Barack Obama auch musikalisch auf dessen Wahlkampftouren.Foto: Joe Raedle/Getty Images

So ist das Interessante an „Renegades“, aus den gegensätzlichen Erinnerungen, dem Aufwachsen in Hawaii beziehungsweise einer Kleinstadt in New Jersey, ein Mosaik dieses amerikanischen Mythos zusammenzusetzen, der sowohl die Musik Springsteens als auch die Politik Obamas prägte – als erster schwarzer Präsident einer (wie sich rückblickend herausstellte) strukturell noch immer rassistischen Nation. Immer wieder drehen sich ihre Gespräche um die Frage, was „amerikanisch“ eigentlich bedeutet.

Und weil sich die Widersprüche nicht auflösen lassen, ohne dass man darüber verrückt werden könnte, stammen die Bilder, die sie mit diesem Begriff assoziieren, noch aus der sicheren, vermeintlich unschuldigen Kindheit. Springsteen verbindet mit diesem Gefühl die gehisste US-Flagge zu Beginn des Schulunterrichts, Obama die Weltraumkapsel Neil Armstrongs, die 1969 vor der Küste Hawaiis geborgen wurde.

Lieder für das stolze, weiße Arbeiterklasse-Amerika

Von diesen „Urszenen“ ausgehend entwickelt „Renegades“ einen differenzierten Begriff des Gesellschaftlichen: Obamas formative Jahre als Sozialarbeiter an der Southside Chicagos, wo auch Michelle ihre Kindheit verbrachte; Springsteen, der das Land per Anhalter kennenlernt und durch diese Erfahrung zu einer sehr dezidierten Beschreibung seines Herkunftsmilieus findet – „Rednecks“.

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Das Wort beschreibt eine Distanz zu dem Land, das er auf seinen Reisen in den Sechzigern kennenlernte, verkörpert durch die Hippies und die Bürgerrechtsbewegung. Trotzdem wird er diesen konservativen Menschenschlag später in seinen Liedern besingen: das stolze, weiße Arbeiterklasse-Amerika, das sich nie unterkriegen lässt – und deren Hoffnungen von Donald Trump betrogen wurden.

Bei aller Kumpeligkeit zwischen Obama und Springsteen, in einer weit entfernten Vergangenheit mal ein „dünner Junge mit komischem Namen“ beziehungsweise ein „schüchterner Rebell“, ist diese „unwahrscheinliche Freundschaft“ (der Titel des ersten Kapitels) doch mehr als die unvermeidliche Kreuzung zweier Erfolgsgeschichten. Obama mit seinem millionenschweren Netflix-Deal und eigener Produktionsfirma, Springsteen mit seinen „tausend Gitarren“ im Wohnzimmer: Sie bleiben trotz ihrer immensen Popularität und ihrer Privilegien doch nur Zeitzeugen eines Projekts, das größer ist als sie selbst. Und das noch viel Arbeit benötigt. Darum überwiegt in den Gesprächen von „Renegades“ auch eine Demut – selbst wenn ein gewisser Größenwahn zur Persönlichkeitsstruktur von Musikern und Politikern gehört, wie Obama ironisch einwirft.

„Träume Mythen Musik“ lautet der Untertitel der deutschen Ausgabe. Die Musik ist das verbindende Element in den Biografien Obamas und Springsteens. Und gleichzeitig trennt es sie. „Du bist am besten, wenn du begreifst, dass du nur ein Instrument für alle anderen bist“, sagt Obama einmal. Aber ein Musiker dürfe noch Träume, Utopien entwerfen; er musste sich dagegen widerwillig der Realpolitik beugen. Ein Präsident singt allenfalls unter der Dusche.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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