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Ausgleich für Umweltverschmutzung : Eine Währung für die Natur

Der Unternehmer und Klimaaktivist Dirk Gratzel bringt gemeinsam mit der Drogeriekette dm den „Umweltwert“ auf den Markt.

Ausgleich für Umweltverschmutzung : Eine Währung für die Natur

Blühende Industriebrache: Der Unternehmer Dirk Gratzel auf einer der ehemaligen Industrieflächen, die er von der RAG übernommen…Foto: promo

enn sich die Idee zu einem Geschäftsmodell auswächst, dann schreibt Dirk Gratzel Geschichte. Der Unternehmer und Umweltschützer aus dem Ruhrgebiet möchte eine neue Währung kreieren, mit der sich Umweltsünder eine Art Öko-Ablass kaufen können. „Umweltwert“ nennt Gratzel seine Erfindung, die inzwischen die Sphäre des Ideellen verlassen hat: Die Drogeriekette dm zahlt in diesem Jahr fast eine Million Euro für Umweltwert. Vodafone ist an einer Partnerschaft interessiert und die traditionsreiche Ruhrfamilie Haniel auch. „Wir erleben vielleicht gerade den Moment, dass Ökologie einen Währung wird“, staunt Gratzel selbst über die Dynamik: Von einem reuigen Umweltsünder, der mit großem Aufwand seine persönliche CO2-Bilanz auszugleichen sucht, ist binnen weniger Monate ein Umweltunternehmer geworden. Vielleicht hat er den ökologischen Bitcoin erfunden.

1147 Tonnen CO2 verursacht

Dirk Gratzel ließ sich vor ein paar Jahren von der TU Berlin seine persönliche Ökobilanz erstellen.Das Ergebnis war ein Schock: In seinen ersten fünf Lebensjahrzehnten hatte der erfolgreiche und sehr mobile Unternehmer mit seinem Lebensstil 1147 Tonnen CO2 verursacht. Mit wachsendem Wohlstand waren die CO2-Emissionen des Vaters von fünf Kindern auf zuletzt fast 28 Tonnen pro Jahr gestiegen. Das ist eine Menge, der Durchschnittsdeutsche kommt „nur“ auf elf Tonnen. Energieverbrauch und Mobilität belasten das Klima am stärksten.

Industrieflächen ökologisch aufbereiten

Gratzel stellte sein Leben radikal um – keine Flugreisen mehr, kein Fleisch und keine Milchprodukte – und sanierte das 1851 gebaute Wohnhaus. Bis er seine Gewohnheiten umstellte, hatte er nach Berechnung der TU Berlin 826 000 Liter Wasser verbraucht; inzwischen steht er nicht länger als 45 Sekunden unter der Dusche. Alles in allem fiel seine jährliche Klimabelastung von 27 auf 7,7 Tonnen CO2. Dazu musste ein Ausgleich her.

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Der Aachener Unternehmer verkaufte seine Firma und erwarb eine zwölf Hektar große ehemalige Industriefläche von der Ruhrkohle AG, die nun entsiegelt, gesäubert und renaturiert wird. Damit hofft er in den kommenden Jahrzehnten seine persönliche Ökobilanz auszugleichen. „Ich habe ein großes Gefühl der Befreiung und werde sehr bewusst sterben“, beschreibt der 52-Jährige den mutmaßlichen Effekt seines Lebenswandels. Bis zum Ableben hat er indes noch etwas vor und hat dazu die HeimatErbe GmbH gegründet. Unternehmenszweck: Die nachhaltige Transformation der Gesellschaft.

Zwei Universitäten sind beteiligt

Ende 2020 hat die RAG drei ehemalige Bergbauareale in Lünen, Herten und im westfälischen Ahlen mit einer Gesamtflächen von 90 Hektar an HeimatErbe verkauft. Gratzel hat nicht viel bezahlt für die degradierten Flächen, die RAG ist froh, die Industrieareale los zu sein und spricht von einer „Win-Win-Situation“. HeimatErbe will die Flächen nun ökologisch aufwerten und anderen Unternehmen dazu ein Investment für den Ausgleich ihrer Öko-Bilanzen anbieten. Alles in allem hat er rund 100 Hektar Bergbaubrachen von der RAG übernommen. Biologen und Forstingenieure, Landschaftsplaner und Geologen machen sich nun an die ökologische Aufwertung der Flächen. Dazu kommt die fachliche Begleitung durch die Technischen Universitäten in Braunschweig und Berlin.

“Ich werde schneller eine grüne Null”

Als Mitgesellschafter ist der Geologe und Hydrologe Matthias Nendza dabei, der Erfahrungen hat im Umgang mit Altlasten, sowie ein halbes Dutzend weitere Fachleute. „Unsere Mitarbeiter erhalten ihre Vergütung nach Wunsch in Geld oder Umweltwert“, sagt Gratzel im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er selbst bekommt ein Drittel seiner Bezüge in Umweltwert, um den Ausgleich seiner Ökobilanz voranzutreiben. „Damit werde ich schneller eine grüne Null.“

Der Umweltwert ist ein Kompensationprodukt, das Gratzel selbst nutzt und verkauft, also handelbar macht. Die Höhe des Umweltwerts wird nach eine Methode der Uni Braunschweig ermittelt. Als Kunden kommen Unternehmen in Frage, die eine Ökobilanz aufstellen können und dann wiederum den von ihnen verursachten Umweltschaden ausgleichen möchten. Wer bei HeimatErbe Umweltwert kauft, bekommt detailliert erläutert, was mit seinem Geld auf den renaturierten Flächen passiert – wie also Umweltwert geschaffen wird. Zum Beispiel dm, ohne deren Unterstützung er HeimatErbe nicht hätte gründen können, sagt Gratzel.

Ausgleich für Umweltverschmutzung : Eine Währung für die Natur

In 3700 Filialen ist dm flächendeckend präsent – gute Voraussetzungen für den Erfolge der neuen Produktreihe.Foto: dpa

Bislang hat dm 14 Produkte

Die Drogeriekette hat unter dem Label Pro Climate eine neue, „saubere“ Produktreihe eingeführt. „Alle nicht vermeidbaren Umweltauswirkungen unserer Pro Climate Produkte werden für die fünf festgelegten Umweltkategorien Klimawandel, Eutrophierung, Versauerung, Sommersmog und Ozonabbau nachträglich durch Aufforstungsprojekte von HeimatErbe kompensiert“, sagt dm-Geschäftsführerin Kerstin Erbe. „Die Beträge, die HeimatErbe erhält, hängen von der Anzahl der verkauften Pro Climate Produkten ab.“ Bei derzeit 14 Produkten in rund 3700 Filialen kann ein hübsche Summe zustande kommen – Gratzel jedenfalls rechnet in diesem Jahr bereits mit einem hohen sechsstelligen Betrag.

Die TU berechnet die Umweltkosten

dm arbeitet seit drei Jahren mit dem Berliner TU-Professor Matthias Finkbeiner und „unserem Impulsgeber Dirk Gratzel“ zusammen, wie Erbe sagt, um die Umweltkosten des eigenen Sortiments zu ermitteln und dann eben im zweiten Schritt mit dem Erwerb von Umweltwert den ökologischen Fußabdruck nach und nach zu verkleinern. „Der Umweltkostenanteil, der durch die Produktherstellung und -entsorgung in den fünf Umweltkategorien entsteht und zur Kompensation in die ökologische Aufwertung von degradierten Flächen investiert wird, ist im Verkaufspreis bereits inkludiert“, sagt Erbe. Die Käufer der Pro-Climate-Produkte zahlen also das Flächenprogramm von Gratzels HeimatErbe. Die Umweltkosten von Zahncreme, Toilettenapier, Wasch- oder Spülmittel hat dm von der TU berechnen lassen.

Pro Climate ist für dm eine Versuchsreihe

„Wir verlagern die Umweltkosten nicht in die Zukunft und auf nachfolgende Generationen, sondern tragen selbst Verantwortung für unser Handeln und unseren Konsum“, sagt die dm-Geschäftsführerin. Die Beträge je Produkt, die an HeimatErbe gehen, sind dabei abhängig von der Ökobilanz der einzelnen Produkte und „durch unseren umfassenden und wissenschaftlichen Ansatz vergleichsweise höher als bei anderen Kompensationsmodellen“.

Ausgleich für Umweltverschmutzung : Eine Währung für die Natur

Foto: PattySia – stock.adobe.com

Pro Climate sei „ein Forschungsprojekt und Pionierarbeit für uns“, fährt Erbe fort. Gemeinsam mit den Herstellpartnern arbeite man daran, die dm-Marken immer nachhaltiger zu produzieren. In ein paar Wochen kommt die erste Zahnpaste in der Pro-Climate-Reihe ins Regal; die recyclingfähige Tube besteht aus 43 Prozent Recycling-Material. Bislang würden die umweltfreundlichen Produkte „sehr gut von unseren Kunden angenommen“, sagt Erbe. Wenn die Kunden das wollen und bezahlen, wird das Sortiment erweitert.

Quartier in der Zeche Zollverein

Darauf hofft Gratzel, für den die dm-Produkte „eine Weltinnovation“ sind – ähnlich wie HeimatErbe und der Umweltwert. „Wenn uns das Geschäftsmodell gelingt, dann fließt viel Geld in die ökologische Ausgleichsarbeit und wir können die Schäden der Vergangenheit zumindest teilweise kompensieren.“ Und die der Gegenwart auch. Produktion und Konsum verursachten hierzulande jedes Jahr Umweltkosten von rund 180 Milliarden Euro, das entspricht etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Im Ruhrgebiet, wo mit dem Bergbau „die Karbonisierung der Welt begann“, wie Gratzel formuliert, will er aus seinem Projekt ein Muster machen. „Wir produzieren Ökologie, wo wir früher Steinkohle produziert haben.“ Für die HeimatErbe hat er dazu einen symbolstarken Unternehmenssitz gewählt: Zollverein in Essen, einst die größte Steinkohlezeche der Welt und heute Unesco-Welterbe.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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