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Auch in Berlin drohen Gefahren : „Vor Naturkatastrophen ist man nirgendwo sicher“

Oliver Hauner, Schadensexperte des Versicherungsverbands GDV, über Geld für Flutopfer, Bausünden und warum die Panke gefährlicher ist als die Spree.

Auch in Berlin drohen Gefahren : „Vor Naturkatastrophen ist man nirgendwo sicher“

Bild der Zerstörung. Wie hier in Mayschoß im Landkreis Ahrweiler hat die Flut Häuser demoliert. Das Problem: Viele Menschen sind…Foto: imago images/Reichwein

Im vergangenen Jahr waren die deutschen Versicherer noch vergleichsweise glimpflich davon gekommen. Naturgefahren hatten sie 2020 gerade einmal 1,95 Milliarden Euro gekostet. Dieses Jahr sieht es völlig anders aus: Allein die jüngsten Hochwasserschäden verschlingen wahrscheinlich mindestens das Doppelte. Dabei sind viele Menschen gar nicht versichert, was die Frage aufwirft, ob man angesichts des Klimawandels künftig eine Versicherungspflicht einführen sollte. Beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ist Oliver Hauner derjenige, der für Themen wie Klimawandel, Naturgefahren und Elementarschadenversicherung zuständig ist. Seit 2010 leitet der Jurist die Abteilung Sach- und Technische Versicherung, Schadenverhütung und Statistik im GDV. Eine Pflichtversicherung sieht er skeptisch. Die Probleme liegen woanders, meint er,

Herr Hauner, welche Schäden erwartet die Versicherungsbranche durch die jüngste Flut- und Hochwasserkatastrophe?

Wir gehen nach wie vor davon aus, dass „Bernd“ Versicherungsschäden von 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro verursacht hat. Allerdings sind die Versicherer derzeit vor allem damit beschäftigt, den Menschen vor Ort zu helfen, also deren Schäden aufzunehmen und möglichst schnell Vorschüsse zu zahlen. Das ist wichtiger, als neue Schadensstatistiken aufzustellen. Bis wir endgültige Zahlen haben, wird daher noch einige Zeit vergehen.

Kann es sein, dass da noch einiges nachkommt?
Wir hatten schon recht früh einen Überblick. Den hat uns das europäische Satellitensystem Copernicus geliefert. Aber natürlich kann da noch einiges hinzukommen, vor allem aus dem gewerblichen Bereich. Was die Schäden, die Unternehmen haben, betrifft, orientieren wir uns bei unseren Schätzungen bislang an den früheren Hochwasserkatastrophen.

Machen die zerstörten Häuser den Großteil der Schäden aus?
Nein, tatsächlich dürfte wohl mehr Hausrat zu Schaden gekommen sein.

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Oliver Hauner ist Experte für Naturkatastrophen im Versicherungsverband.Foto: promo

Also die vollgelaufenen Keller?
Ja, vor allem abseits der stark zerstörten Hotspots. In vielen Fällen hat das Wasser dort das Mobiliar beschädigt, die Sachsubstanz des Gebäudes ist aber weitgehend unversehrt geblieben.

Wie schwierig ist die Regulierung? Die Menschen haben ja oft keine Belege mehr.
Das Problem hatten wir ja schon bei den Flutkatastrophen 2002 und 2013. Viele Versicherer haben inzwischen Notfallpläne. Sie geben den Mitarbeitern vor Ort Vollmachten, die Schäden zu regulieren. Da wird nicht lange nach Rechnungen gesucht, sondern es gibt pauschale Vorauszahlungen für den vollgelaufenen Keller oder das zerstörte Erdgeschoss. Die Menschen brauchen ja schnell Hilfe.

Haben die Versicherer schon Vorschüsse gezahlt?
Ja, in großer Zahl. In der Regel sind die Beträge deutlich fünfstellig, wenn Hausrat und Gebäude betroffen sind. Möglicherweise erleben wir am Ende auch wieder Schäden, die die klassischen Wiederaufbaukosten übersteigen. Etwa wenn Öl ins Wasser geflossen ist, die Häuser dem lange ausgesetzt sind und Sanierungsversuche erfolglos bleiben. Solche Fälle hatten wir bei der Flut 2013.

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Das war einmal ein Wohnzimmer. Viele Flutopfer, hier ein Bild aus dem Ahrtal, haben alles verloren.Foto: imago images/Future Image

Bleibt man dann auf dem Schaden sitzen?
Nein, in der marktüblichen Wohngebäudepolice – der sogenannten gleitenden Neuwertversicherung – zahlt der Versicherer den Wiederaufbau des Hauses in gleicher Art und Güte nach den heute geltenden Vorschriften.

Müssen Menschen damit rechnen, gekündigt zu werden, wenn sie jetzt Geld von der Versicherung bekommen?
Beiden Vertragspartnern steht nach einem Schadenfall das Recht auf Kündigung zu. Versicherte machen üblicherweise davon Gebrauch, wenn sie mit der Schadenregulierung unzufrieden sind. Versicherer gehen mit dem Kündigungsrecht traditionell vorsichtig um, denn mit jeder Kündigung verkleinert sich die Versichertengemeinschaft. Insofern sind auch nach der Flut 2002 und 2013 die vorhergesagten Klagewellen ausgeblieben. Vielmehr haben die Versicherer mehr Haushalte von der Notwendigkeit einer Elementarschadenabsicherung überzeugt.

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Gleichwohl kann es notwendig sein, ältere Verträge nach einem Schadenereignis auf neue Konditionen umzustellen. Dies kann zivilrechtlich nur im Wege der Kündigung des Altvertrages erfolgen. Damit verbunden ist dann aber das Angebot zur Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses zu neuen Konditionen. Allerdings kann das dazu führen, dass die Beiträge steigen oder Kunden höhere Selbstbehalte akzeptieren müssen.

Wird das, was die Versicherung zahlt, bei den staatlichen Hilfen angerechnet? Bekommen Versicherte weniger?
Das kommt auf die Landesregelungen an. Die Politik steckt jedoch im Samariter-Dilemma: Angesichts des menschlichen Leids und der großen Tragödien können die Politiker nicht zwischen Menschen differenzieren, die eine Versicherung haben, und Unversicherten. Im Moment geht das nicht. Aber wir müssen uns dann, wenn das Gröbste erledigt ist, unbedingt zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wie wir dieses Dilemma künftig verhindern.

Hochwasser, Starkregen, Stürme oder Erdrutsche nehmen angesichts des Klimawandels zu. Sollte die Politik jeden Menschen verpflichten, sich gegen solche Elementarschäden zu versichern?
Der Reflex liegt nahe, aber eine Versicherungspflicht wäre nur ein Pflaster auf der Wunde. Man muss die Ursachen beseitigen. Eine Pflicht rettet keine Menschenleben und verhindert keinen einzigen Schaden. Bei dem Thema wird gern auf die Schweiz verweisen, die eine Pflichtversicherung hat. Aber dort gibt es klare Bauvorgaben und rote Zonen, in denen nicht gebaut werden darf. Nicht wie hier. Hier ist es zwar nach dem Wasserhaushaltsgesetz grundsätzlich verboten, in amtlich festgelegten Überschwemmungsgebieten zu bauen. Aber dann folgen zahlreiche Ausnahmen, in denen es doch geht.

Wie kann das sein?
Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Gefahr nicht immer hinreichend ernst genommen wird. Anders ist es nicht zu erklären, dass in den letzten Jahren Tausende neuer Gebäude in Gefahrengebieten errichtet wurden. Im Wasserhaushaltsgesetz steht auch, dass jeder Hausbesitzer verpflichtet ist, Vorsorge gegen Überschwemmungen zu treffen. Die Versicherer müssen aber immer wieder feststellen, dass dieser Pflicht nicht nachgekommen wird – auch nicht in exponierten Gebieten.

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Dabei gäbe es schon jetzt viele Möglichkeiten, sich zu schützen, etwa durch druckfeste Fenster. Darüber hinaus gibt es in der Musterbauverordnung bis heute keine Verpflichtung zur Klimafolgenanpassung. Und auch der Bauantrags- und -genehmigungsprozess kennt keine wirkliche Pflicht, den Naturgefahrenkatalog vor Ort zu studieren und entsprechende Vorsorge zu treffen. Wobei das für Bauherren zugegebenermaßen nicht einfach ist.

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Wenn Öl ins Wasser fließt, wie hier in Schleiden in NRW, müssen Spezialentsorger ran.Foto: dpa

Warum?
Die Länder verfügen über viele Gefahrenkarten, aber die sind für Laien nicht immer leicht zu finden beziehungsweise zu verstehen. Wir brauchen stattdessen endlich ein bundesweit einheitliches Naturgefahrenportal, in dem jeder im Internet konkret für seinen Wohnort nachschauen kann, wie hoch die Gefährdung durch Naturgefahrenereignisse ist und worin sie besteht. Derzeit sind wir, die Versicherer, oft die Buhmänner. Wir überbringen die schlechte Nachricht, indem wir hohe Prämien verlangen, wenn ein Gebäude gefährdet, aber nicht vernünftig gesichert ist. Dann ist es für die Bauherren zu spät. Aber wir müssen Prämien nehmen, die dem Risiko vor Ort entsprechen.

Wie teuer ist eine Naturgefahrenversicherung?
Dazu gibt es Zahlen der Stiftung Warentest und der Internet-Vergleichsportale: Über 90 Prozent der Gebäude liegen hierzulande in Gebieten mit niedrigerem Risiko. Ein durchschnittliches Einfamilienhaus können Sie im Schnitt für unter 100 Euro im Jahr versichern. In der nächst höheren Zone sind es etwa 200 oder 250 Euro, das betrifft weitere sechs Prozent. In Zone drei können es 500 Euro sein – je nach Selbstbehalt und Umfang der Präventionsmaßnahmen. Selbst in exponierten Gebieten der Zone vier sind die Prämien bezahlbar, wenn Sie bereit sind, einen Teil der Schäden selbst zu tragen und der gesetzlichen Pflicht zur Prävention nachzukommen. Jeder Hausbesitzer hat es hier selber in der Hand.

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Starkregen ist das größte Naturkatastrophenrisiko in Berlin.Foto: dpa

Bekommt wirklich jeder eine Versicherung, auch in extrem gefährdeten Regionen?
Wenn auch der Hausbesitzer seinen gesetzlichen Pflichten nachkommt: ja, auch in den exponierteren Gebieten. Man muss sich sorgfältig auf dem Markt umschauen. Entsprechende Produkte der Versicherer gibt es. Dann allerdings mit entsprechend hohen Selbstbehalten. Aber es kann ja sinnvoll sein, kleinere Schäden selbst zu tragen, wenn man dafür die Existenz schützen kann. Was nicht geht: Für kleines Geld Gebäude in hoch gefährdeten Gebieten versichern, das dürften wir nach den europäischen Solvenzvorschriften für Versicherer auch gar nicht. Aber viele erwarten das.

Gibt es Orte, an denen man vor Naturkatastrophen sicher ist?
Leider nein. Der Katalog der Gefahren ist breit. Wenn Sie auf dem Berg wohnen, haben Sie ein Sturmrisiko und die Gefahr, dass der Hang rutscht. Im Tal droht Hochwasser. Und wir werden auch in Zukunft noch schneereiche Winter haben, wenn verstärkt Warm- und Kaltfronten aufeinanderprallen. Die Klimaforschung macht deutlich, dass wir die Mitte verlieren werden, wir rutschen in die Extreme: Starkregen und Dürre, Hitzewellen und übermäßiger Schneefall. Vor dem Hintergrund der Starkregenentwicklung sollten Hausbesitzer prüfen, wie viel Fläche auf ihrem Grundstück versiegelt ist. Dort kann das Wasser nicht versickern. In Berlin ist ja inzwischen vorgeschrieben, dass Wasser, das auf ein Grundstück fällt, dort soweit wie möglich versickern können muss. Das finde ich gut und richtig.

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Unter Wasser: Bei heftigem Starkregen schießt das Wasser schon mal in Berlins U-Bahnhöfe.Foto: DPA

Welche Naturgefahren drohen Berlin?
Starkregen ist sicherlich das prominenteste Risiko. Wobei von Spree und Havel eher geringere Gefahren ausgehen. Wir haben Puffer mit dem Müggelsee, den Schleusen in der Stadt und dem Spreewald. Kleinere Gewässer, wie die Panke, sind riskanter. Wenn Starkregen auftritt, kann das Wasser links und rechts aus der Panke herausströmen. An vielen Stellen könnte sich Berlin allerdings deutlich besser vor Starkregen schützen.

Was heißt das konkret?
Nehmen Sie Singapur: Dort schüttet es oft jeden Nachmittag. Zugänge zur U-Bahn sind überdacht, wenn Sie dort in die Station gehen, führen erst einmal Treppen nach oben, Barrierefreiheit wird über Rampen sichergestellt. Das verhindert, dass Wasser in die Stationen eindringt. Wenn ich hier aus dem Fenster auf den U-Bahnhof Mohrenstraße schaue, dann sehe ich ein Loch im Boden. Bei einem Starkregenereignis kann Wasser hier praktisch ungehindert in die U-Bahn und den Aufzugschacht laufen. Aufzüge fallen dann oft wochenlang aus, das war auch hier schon der Fall.

Die meisten Menschen haben keine Elementarschadenzusatzversicherung. Ändert sich das jetzt?
Katastrophen führen dazu, dass die Anfragen zunehmen. Und viele schließen jetzt auch eine solche Police ab. Aber das Interesse nimmt mit wachsendem zeitlichem Abstand ab. Das ist menschlich. Die Bilder verschwinden. Ein halbes Jahr danach bewegen sich die Anfragen üblicherweise wieder im Normalmaß.
Was ist mit den zerstörten Brücken, Straßen und Schienen? Sind diese Schäden versichert?
Die allermeisten nicht. Hier und da wird Versicherungsschutz für Schule oder Rathaus bestehen, aber Infrastrukturanlagen sind nicht versichert. Das macht der Staat selbst. Auch die Bahn versichert sich in der Regel selektiv und wird viele Schäden selbst tragen müssen

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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