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9/11 im Blick von Peter Kloeppel : Was ich sehe, ist real

Was ist echt, und was ist Fake? RTL-Anchormann Peter Kloeppel erinnert sich an seinen 11. September 2001 und blickt nach vorn.

9/11 im Blick von Peter Kloeppel : Was ich sehe, ist real

Der längste Arbeitstag. Am 11. September 2001 moderiert Peter Kloeppel sieben Stunden nonstop die RTL-Berichterstattung über die…Foto: RTL

Die New Yorker U-Bahn-Linie 1 zerschneidet Manhattan wie mit einem scharfen Messer längs von Norden nach Süden. Sie beginnt in der 242. Straße, sucht sich ab der 170. Straße den Broadway als Wegweiser und folgt ihm unterirdisch, bis sie schließlich an der Südspitze Manhattans endet.

In der 72. Straße bin ich vor 30 Jahren oft eingestiegen. Dort an der Upper West Side lag meine Wohnung, die mein Zuhause war von 1990 bis 1992, als ich als Korrespondent für RTL aus den USA berichtete. Das World Trade Center konnte ich vom Wohnzimmer aus zwar nicht sehen, aber ich wusste: wenn ich die Line 1 nehme und an der Endstation South Ferry aussteige, dann begrüßen einen gleich zwei Symbole Amerikas: links die Freiheitsstatue und rechts die Twin Towers. Auch wenn ich als Deutscher keinen patriotisch-emotionalen Anspruch auf diese Monumente anmelden konnte, fühlte ich mich bei ihrem Anblick trotzdem immer tief verbunden mit den Werten und der Stabilität, die sie zu verkörpern schienen.

Am Nachmittag des 11. September 2001 kamen mir diese Momente immer wieder in den Sinn. Frühmorgens war ich von einer Reportage-Reise in Asien kommend in Frankfurt gelandet, ab etwa 13 Uhr saß ich an meinem Schreibtisch in der Aktuell-Redaktion in Köln und bereitete mich auf die Abendsendung vor. Und dann um etwa 14 Uhr 50 dieser Ausruf einer Kollegin: „Geht mal schnell auf CNN, was sind denn das für Bilder da?“

Wir schalten die Fernseher um, sehen die Live-Aufnahmen der US-Kollegen: Rauch quillt aus den oberen Stockwerken des Nordturms des World Trade Centers, ein Loch von mindestens 30 Metern Breite klafft wie eine offene Wunde an der Fassade in mehr als 300 Metern Höhe. CNN meldet, ein Flugzeug sei in den Turm geflogen. Wir entscheiden, so schnell wie möglich auf Sendung zu gehen.

Ich laufe in die Maske, um geschminkt zu werden, schalte auch dort den Fernseher ein, und sehe im nächsten Moment, wie ein zweites Flugzeug im südlichen Turm einschlägt. Sekundenbruchteile vergehen, in denen ich an meiner eigenen Wahrnehmungskraft zweifele, doch die Fassungslosigkeit weicht genauso schnell der Gewissheit: Was ich sehe, ist real. Kein Katastrophenfilm. Keine Animation. Kein Trick. Ein Terroranschlag.

Minuten später sitze ich im Studio, die Kameras gehen an, und ich muss funktionieren. Beschreiben, was unbeschreiblich erscheint. In Worte fassen, was einen sprachlos macht. Ruhe bewahren und Antworten geben auf Fragen, die mir durch den Kopf rasen.

Wieder und wieder zeigen wir die Bilder der heranrasenden Passagiermaschinen, die Explosionen, den Trümmerregen, die immer dichter werdenden Rauchschwaden. Irgendwann sehen wir Menschen in die Tiefe fallen.

Das Innenleben dieser 400 Meter hoch aufragenden Türme

Aber um mich herum im RTL-Studio herrscht eine unwirkliche Stille. Kameraleute, Aufnahmeleiter, der Toningenieur: Alle sind bewegungslos und starren gebannt auf die Bilder, die über die Monitore laufen. Und ich versuche, diese Stille mit Informationen zu füllen, in dem ich Erinnerungsschubladen in meinem Gehirn öffne, eine nach der anderen. Ich rufe in meinem Gedächtnis Informationen ab über Flugzeugtypen, Passagierzahlen, statische und architektonische Details der Twin Towers, die Bauweise und das Innenleben dieser 400 Meter hoch aufragenden Türme.

Ich versuche mir die Arbeit der Feuerwehrleute und Rettungskräfte vorzustellen und die Situation in den Tausenden Büros des World Trade Centers. Über einen Ohrhörer bekomme ich aus der Regie Kommandos zum weiteren Sendungsablauf, Reporter oder Gesprächspartner werden zugeschaltet.

Je länger die Sendung dauert und je unfassbarer die Bilder und Informationen erscheinen, desto mehr strecke ich imaginär meinen Arm aus, um die Zuschauer zu beruhigen, sie an die Hand zu nehmen und durch diese Katastrophen-Momente zu führen.

9/11 im Blick von Peter Kloeppel : Was ich sehe, ist real

Der Moderator Peter Kloeppel 2021Foto: TV NOW / MG RTL D / Stefan Grego

Aber auch ich werde gehalten, vom Wissen einer unter Hochdruck im Hintergrund arbeitenden Redaktion, und ich werde gestützt von unseren Reportern vor Ort in New York, die all das, was ich aus sicherer Entfernung beschreibe, mit eigenen Augen sehen und hautnah erleben müssen.

Auch heute würden wir als Fernsehsender wieder so schnell und entschieden reagieren wie damals am 11. September. 2001. Allerdings dürften nun innerhalb weniger Minuten die sozialen Netzwerke geflutet werden mit Augenzeugen-Videos. Doch was ist echt, und was ist Fake? Auch unsere mittlerweile eingerichteten Verifikations-Teams könnten da an ihre Grenzen stoßen.

Ein riesiges Loch im Himmel.

Kurz nach dem 11. September 2001 erklärt die Nato diese Angriffe zum Bündnisfall. Bundeskanzler Schröder verspricht den USA angesichts des Terroraktes die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands. Amerika wird gegen die Terror-Organisation von Osama Bin Laden zurückschlagen, daran gab es keinen Zweifel, sondern großes Verständnis bei den meisten Menschen.

Hätten die Amerikaner und ihre Alliierten aber damals schon gewusst, dass Hunderttausende Soldaten nicht nur in einen Krieg gegen den Terror, sondern auch in eine schier end- und erfolglose Materialschlacht gegen die Taliban geschickt würden, vom Krieg gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein mal ganz zu schweigen, so wären doch wohl die Zweifel lauter gewesen. Heute, 20 Jahre danach, lässt sich das sehr leicht sagen. Aber die Hoffnung bleibt, dass wir lernfähig sind.

Etwa ein halbes Jahr nach den Anschlägen bin ich zum ersten Mal wieder nach New York gefahren. Wieder brachte mich die U-Bahn-Linie 1 gen Süden, aber etwa drei Stationen vor der inzwischen geschlossenen Station am World Trade Center stieg ich aus. So vorsichtig wie man sich einem frischen Grab nähert, so langsam ging ich auf den Trümmerberg zu, der sich immer noch an Ground Zero auftürmte. Riesige Kräne räumten verbogene Stahlträger und Betonteile zur Seite, wer außen an den Bauzäunen entlanglief, sprach kaum ein Wort.

Und wenn man nach oben blickte: ein riesiges Loch im Himmel.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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